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Kultur: Erdrückende Vorbilder

Das MDR-Sinfonieorchester mit "Golgatha" von Frank MartinVON ISABEL HERZFELDDie Schweizer halten zusammen: Marcello Viotti vom demnächst aufgelösten Dirigenten-Triumvirat des MDR-Sinfonieorchesters gebührt das Verdienst, die großen Oratorien seines Landsmannes Frank Martin aus der Versenkung zu holen.Sie standen einmal für eine eigenwillige, klangsinnliche und rhythmisch geschärfte Mixtur aus Zwölftontechnik und traditioneller Harmonik.

Das MDR-Sinfonieorchester mit "Golgatha" von Frank MartinVON ISABEL HERZFELDDie Schweizer halten zusammen: Marcello Viotti vom demnächst aufgelösten Dirigenten-Triumvirat des MDR-Sinfonieorchesters gebührt das Verdienst, die großen Oratorien seines Landsmannes Frank Martin aus der Versenkung zu holen.Sie standen einmal für eine eigenwillige, klangsinnliche und rhythmisch geschärfte Mixtur aus Zwölftontechnik und traditioneller Harmonik. Im Falle des Passionsoratoriums "Golgatha" allerdings, das Viotti mit großem Chor- und Orchesterapparat im Schauspielhaus aufführte, wirkt solche Modernität leicht angestaubt: Zu erdrückend bleibt das Vorbild Johann Sebastian Bachs, gegenwärtig vor allem in den chromatisch gefaßten Klagearien der Altistin (Alexandra Papadjiakou) mit schweren Flöten- und Fagottseufzern.Dabei gab Martin sich alle Mühe, die selbst aus den Evangelien zusammengestellte Textvorlage dramatisch aufzupeppen. Das gelingt, wenn der Jesus-Sänger Gilles Cachemaille mit eherner Strahlkraft seines eigentlich weichen, in der Höhe wohlabgerundeten Baritons die Pharisäer aus dem Tempel treibt, der Chor kraftvolle "Hosianna"-Rufe zum Palmsonntag ausstößt oder zu scharfen synkopischen Klavierrhythmen das "Lamm Gottes" gegeißelt wird.Grelle Holzbläserakzente und ganz blasse, beinahe depressiv herabsinkende Farbmischungen des Chores zur Kreuzigung, das ist schon eindrucksvoll.Warum aber insgesamt so wenig die Möglichkeit zur Piano-Differenzierung genutzt wird, bleibt Viottis und der ansonsten souverän-stimmkräftigen Solisten Geheimnis, allen voran der (allzu) feurige Tenor Daniel Glavez-Vallejo und die metallisch auftrumpfende Sopranistin Kathleen Cassello. Die Auferstehungsfreude zum Schluß, ätherisch verwehender Dreiklangzauber, erschöpft sich so in pathetischem Jubel.Zu allem Überfluß charakterisiert der Schweizer Frank Martin die unbelehrbaren heidnischen Volksmassen durch Carl Orffsche "Carmina-Burana"-Klänge.Ganz effektvoll gewiß, aber eigentlich doch enttäuschend, wenn man an manche seiner anderen, etwa gleichzeitig entstandenen, um vieles originelleren Werke wie "Le vin herbe" (1941) oder das Konzert für sieben Bläser, Pauken und Schlagzeug (1949) denkt.

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