zum Hauptinhalt
Spannende Unterhaltung verspricht Eric Berg, der die gleiche Geschichte aus einem Internat immer wieder von anderen Protagonisten und damit aus anderen Perspektive erzählen lässt.

© bloomoon

Eric Berg: "Schrei": Horror im Internat

Eric Berg gibt in „Schrei“ spannende Rätsel auf und fügt dem Internatsthriller neue Facetten zu.

Die Wirklichkeit gibt es nur im Plural. Man lebt, liebt, streitet, und wenn man Pech hat, kommt man dabei zu Tode. Die Schattierungen dieser Geschehnisse aber (wer liebt wen warum? Wer hat Schuld? Und wo kommt all das Blut her?) ergeben sich durch die Blickwinkel der vielen Beteiligten: Lulu, Jenny, Niko, Lars. Simon, Lennart, Kati. In Eric Bergs thrillerhaftem Internatsroman „Schrei“ erzählen sie jeweils ihre Sicht der Dinge.

Es sind die Tage nach den Ferien, kurz vor Schulbeginn. Hitzige Sommerschwüle, Lulu schwimmt im See. Sie quält sich, denn sie mag Lars (sexy, sportlich, charismatisch) und Niko (empfindsam, tiefgründig, mit Gitarre). Sie fragt sich, ob das geht, zwei Menschen gleichzeitig zu lieben: „Das war ja wohl nicht möglich. Oder? Vielleicht doch.“

Und dann hatte sie dem Schuldirektor vor den Ferien ja noch ihren übergriffigen Sportlehrer gemeldet, immer noch graust ihr vor ihm. Für so viel emotionale Dialektik ist die Schulgemeinschaft aber nicht zu haben, alle zerreißen sich schon das Maul über sie.

Merke: Jungs mit vielen Mädchen sind tolle Hechte, Mädchen, die begehren und trotzdem ihre sexuellen Grenzen wahren, sind affektierte Schlampen. Ihre beste Freundin Jenny kann ihr da auch nicht so recht weiterhelfen, denn die nagt an einem ebenfalls komplizierten Problem, das sich neun Monate später manifestieren könnte.

Jedenfalls verkeilen sich plötzlich die Rätselhaftigkeiten. Lulus Zimmer ist blutbeschmiert, am See ertönen unheimliche Schreie, Dorfjunge Lennart schleicht ums Internat, und am See flackern Kerzen neben dem Foto einer ehemaligen Schülerin.

„Eine gewalttätige Stille“ liegt eines Abends in der Luft, so erzählt es Mara: „Am Horizont zogen schwarze Wolken auf, irgendwo war in der Ferne ein Streit zwischen einem Jungen und einem Mädchen zu hören, und dann sah ich von meinem Fenster aus Lars, der vor der Mensa auf und ab lief, wie ein Tiger im Käfig.“ Plötzlich ist Lulu verschwunden. Verletzt? Ermordet? Weggelaufen?

Damit beim Lesen die Orientierung nicht verloren geht, wechseln sich die – bisweilen etwas überbetont lässig erzählten – Berichte der Schülerinnen und Schüler mit Kapiteln ab, in denen die Ereignisse um die Protagonistin Lulu von einem Erzähler geschildert werden. Klar ist das spannend, da muss Eric Berg nur der Gattungstradition des Internatsromans vertrauen. Die einander beobachtende Schulgemeinschaft sorgt für glasglockenartige Bedrängnis.

Nicht ohne Hintergedanke offenbar auch der Name der Hauptfigur: Lulu, so heißt die Protagonistin in der gleichnamigen Tragödie von Frank Wedekind. Leider wird nicht ganz klar, was diese Anspielung soll.

Will Berg mit seiner Internats-Lulu eine Emanzipationsgeschichte erzählen, die den Schlampen-Vorwurf an die selbstbewusste Frau Lügen straft? Vielleicht. Allerdings hätte der Roman dann ein anderes Ende gebraucht. Selbiges sei hier nicht verraten, nur so viel: eine weniger biedere Schlusswendung hätte der Erzählung eine nachhaltig bohrende Spitze versetzen können.Anna-Lena Scholz

Eric Berg: Schrei. Roman. bloomoon, München 2015. 152 Seiten. 12,99 Euro. Ab 13 Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false