zum Hauptinhalt
Marcel Reich-Ranicki in seiner Wohnung in Frankfurt.

© dpa

Erinnerung an Marcel Reich-Ranicki: Los, fragen Sie!

Marcel Reich-Ranicki hat alle Interviews in seinem Wohnzimmer gegeben. Auch unser Autor hat den am Mittwoch verstorbenen Literaturkritiker dort einst getroffen.

Am Donnerstag wird er beerdigt, auf dem Frankfurter Hauptfriedhof. Mit seinem Tod ist die Erinnerung da, lebendiger denn je. Es war kurz nach seinem 85. Geburtstag, als Marcel Reich-Ranicki in Berlin zu Gast war, vorgestellt wurde Uwe Wittstocks Biografie. Reich-Ranicki war blendend aufgelegt, überhaupt hatte man den Eindruck, dass er noch berühmter und präsenter war als zu Zeiten des „Literarischen Quartetts“. In einem Artikel über den Abend wollte ich dem Medienphänomen MRR auf den Grund gehen und schrieb, dass es ihn als Literaturkritiker nur noch sporadisch gebe und die Gegenwartsliteratur ihn nicht mehr interessiere.

Reich-Ranicki bekam den Text in die Hände. Widerspruch reizte ihn ja, also antwortete er in seiner Kolumne in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Bedankte sich „herzlich“, listete seine letzten Buchbesprechungen auf und erklärte, dass ihm für mehr schlicht auch die Zeit fehle, arbeite er doch intensiv an einem Kanon der deutschen Literatur.

Ein Jahr später lud er mich ein, um mit ihm über diesen Kanon zu sprechen. Es war der Himmelfahrtstag 2006, als ich ihn in seiner Wohnung in Frankfurt-Dornbusch aufsuchte. Das Gespräch fand im Wohnzimmer statt, dort, wo er in einem schwarzen Sessel alle seine Interviews gab, im Beisein seiner Frau Teofila. Der Kaffee wurde auf den Tisch gestellt, ReichRanicki wollte gleich zur Sache kommen. „Dann mal los, mein Lieber, fragen Sie!“ Ich war aber noch mit meinem Aufnahmegerät beschäftigt, einem iPod mit Mikroaufsatz, der gerade seinen Geist aufgab. Reich-Ranicki wurde immer ungeduldiger. Als ich ihm sagte, dass wir das Gespräch ohne Aufnahmegerät führen müssten, meinte er: „Nein, das geht nicht.“ Stand auf, verschwand kurz, kehrte mit einem alten Kassettenrecorder und zwei Kassetten zurück. So konnte ich aufzeichnen. Seine Antworten beendete er oft mit einem zackigen „Weiter! Nächste Frage!“

Ein paar Stunden später musste ich noch einmal zurück – ich hatte i-Pod und Kassetten vergessen. Kein Problem für Reich-Ranicki, dann solle ich halt nochmal zum Kaffee zu kommen, sagte er am Telefon, diesmal gebe es auch Plätzchen. Auch seine Frau saß uns wieder auf dem Sofa gegenüber, ein längeres Gespräch wollte jedoch nicht mehr so recht in Gang kommen – zu nervös ich, zu gelangweilt womöglich die Reich-Ranickis. Er wollte weitere Fragen beantworten oder zumindest unterhalten werden, aber Themen wie die Peter-Handke-Heine-Preis-Affäre oder die beginnende Suhrkamp-Krise vermied er lieber. Ich erinnere mich noch, dass wir über polnische Literatur sprachen und besonders Teofila Reich-Ranicki sich länger dazu äußerte.

Bei späteren Telefonaten wiederholte sich das: Marcel Reich-Ranicki, der ja selber große Unterhaltungsqualitäten besaß, wollte unterhalten werden. „Was gibt’s Neues“ fragte er jedes Mal als Erstes, und wenn man ihm nichts Neues zu berichten wusste, schien er immer ein bisschen enttäuscht zu sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false