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Ort der Begegnung. Theodor Heuss, Helmut Kohl, Francois Mitterrand, Heiner Müller, Jorge Luis Borges saßen hier mit Jünger. Foto: von Becker

© picture alliance / dpa

Ernst Jünger: Weltgeist mit Blutwurst

Das Haus von Ernst Jünger in Wilflingen wird als Museum wiedereröffnet. Ein Besuch auf der Schwäbischen Alb.

Von ortsfremden Reisenden ist er leicht zu übersehen, der kleine Pfeil zum „Ernst-Jünger-Haus“ und zum „Schloss“ an einer Weggabelung in der Winzgemeinde Wilflingen am Südrand der Schwäbischen Alb. Rechts von der Landstraße führt ein Weg mit dem etwas pompösen Namen „Ernst-Jünger-Allee“ hügelan zum Friedhof an der evangelischen Dorfkirche, wo der 1998 im Alter von 102 Jahren gestorbene und bis zu seinem Tod von einem eher zwiespältigen Weltruhm begleitete Schriftsteller mit seiner Familie unter einem bescheidenen Stein begraben liegt.

Von der Kreuzung nach links, leicht bergab, führt die Stauffenbergstraße, und gleich das dritte Haus Nr. 11 war von 1951 bis zuletzt das Domizil Ernst Jüngers. Ein schlossgelb gestrichenes Landhaus aus dem Jahr 1727, mit Hochparterre, einem ersten Stock als Beletage und einem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Dachgeschoss, in dem sich eine Gästewohnung und das Schlafzimmer von Jüngers zweiter Frau Liselotte befand. An der straßennahen kleinen Freitreppe zum Eingangstor waren einst Jüngers oft illustre Gäste begrüßt worden, auch Kanzler Helmut Kohl und Frankreichs Präsident Mitterrand, die gemeinsam zum Offizier der Ehrenlegion und Träger des Ordens Pour le Mérite, zum deutschen Frankreich-Kämpfer in zwei Weltkriegen und dem Autor der „Stahlgewitter“ und der (Pariser) „Strahlungen“ gepilgert waren.

Anderthalb Jahre lang ist das Jünger-Haus nun für rund 400 000 Euro, die überwiegend von der Denkmalstiftung Baden-Württemberg getragen wurden, von Grund auf saniert worden. Am heutigen Dienstagabend wird es mit einem Festakt wieder eröffnet. Schon kurz nach Jüngers Tod hatte seine Witwe Liselotte, die 2010 am Bodensee starb, verfügt, dass das Haus in Wilflingen für das Publikum geöffnet und im originalen Zustand erhalten werden sollte. Eine Stiftung mit Mitteln aus dem Nachlass sowie ein Freundeskreis sorgten dafür, dass hier bereits 1999 eine Gedenkstätte etabliert wurde. Doch sogen die Hauswände Feuchtigkeit an, es begann Schimmelbefall – von dem auch Jüngers in den Kleiderschränken bewahrte Garderobe derart heimgesucht wurde, dass einzelne Stücke noch jetzt von Restaurateuren mit Atemmasken in Esslingen behandelt werden.

Es ist ein Ort mit Aura. Ebenso für Jünger-Jünger wie für Skeptiker. Im Hochparterre, wo seitlich vom Hausflur auf Wunsch des Verblichenen ein Raum seinem Bruder, dem Autor Friedrich Georg J., gewidmet ist und zwei frühere Zimmer der Ehefrauen Greta und anschließend Liselotte jetzt als Kassen- und Informationsräume dienen, fällt der Blick sofort auf exotischen Wandschmuck von Jüngers Asienreisen und allerlei italienisch-griechisch-orientalische Tempelklöster- und Kathedralenfotos. Die alte – zwar erneuerte, aber wie alles Erneuerte mit kunsthandwerklicher Patina versehene – Treppe in die Beletage lässt den Besucher gleich auf einen Fensterblick in den rückseitigen Jüngerschen Obstgarten und ein niedriges, typisches Bücherregal stoßen. Typisch, weil einen als Erstes eine Sammlung deutscher, französischer und englischer Katastrophen-Literatur empfängt. Seit dem Untergang der „Titanic“ war der Verfasser des „Abenteuerlichen Herzens“ ein Liebhaber von Berichten über Schiffsuntergänge.

Im oberen Flur dann die Wandschränke mit den 40 000 aufgespießten Exemplaren der wohl größten privaten Käfersammlung: vom goldenen Maikäfer aus Südamerika bis zum tropischen Nashornkäfer Objekte und Opfer der „Subtilen Jagden“ eines Autors, der sich in seinen mineralogischen, botanischen und sonstigen naturwissenschaftlichen Interessen auf den Spuren von Goethe und Humboldt sah. Und sehen wollte. Prunkstück des ersten Stocks ist freilich der Bibliothekssalon mit dem anschließenden Arbeitszimmer. Im ersten Raum die lederne Sitzgruppe um einem niedrigen Marmortisch, wo Jünger mit seinem Schwabenfreund Theodor Heuss, mit Kohl und Mitterrand sowie dem halbblinden Borges oder spät noch mit seinem sarkastischen Verehrer Heiner Müller saß, bei Sekt, Likör und Kaffee.

Man geht und steht auf den schön restaurierten Kelims, sieht viele Fotoporträts von älteren Herren (der „Friedhof der Freunde“, in einem der Rahmen zum Beispiel der konservative Staatsjurist Carl Schmitt), daneben eine Kollektion exquisiter Spazierstöcke, die der rüstige Jünger freilich nie gebrauchte – und alles umgeben von der nicht exorbitant edlen, aber mit frühen Bibel- und Hölderlin-Ausgaben doch hochgediegenen, neuntausendbändigen Bibliothek. Keine Taschenbücher, keine belletristischen Zeitgenossen, Jünger las wohl nie Grassens „Blechtrommel“, schätzte aber wegen der Destillationsbeschreibungen und des Frankreich-Flairs Patrick Süskinds „Parfüm“.

Vom bäuerlichen Schreibtisch im angrenzenden Studio, gesäumt vom Philosophen Johann Georg Hamann (dem „Magus des Nordens“) und den Schriften der Kirchenväter, schaute Jünger über die Straße zum mächtigen Stammschloss der Schenken von Stauffenberg, zu deren weitläufiger Familie auch der Hitler-Attentäter zählte. Baron Franz von Stauffenberg, der heutige Hausherr, dessen Eltern ihre ehemalige Oberförsterei 1951 an Jünger vermietet hatten und der jetzt Eigentümer des Jünger-Hauses ist, erzählt mit noch wacher Erinnerung von den wechselnden Besetzungen des Schlosses und seinem Kindheitsversteck nach dem 20. Juli 1944.

Ausgerechnet Jünger, der von seinem späteren Domizil nichts ahnen konnte, hatte 1939 in seinem schwülstigen, aber als Hitler-kritische, mutige Parabel gelesenen Roman „Auf den Marmorklippen“ einen dämonischen „Oberförster“ mit einer KZ-ähnlichen „Schinderhütte“ im Hochwald ersonnen. Hinter dem Schreibtisch in Wilflingen hängt nun wieder eine düster-gruselige Wald-Unheilsgrafik von Alfred Kubin, und nahebei im Regal liegt Jüngers von zwei Kugeln getroffener Stahlhelm, der ihm 1917 (morgens beim Rasieren!) das Leben rettete. Und daneben der Stahlhelm nebst silbernem Flachmann des durchs Auge in den Kopf geschossenen englischen Offiziers, auf dessen Tod Jünger und seine Kameraden den letzten Whiskey des Briten tranken ...

Witzig und allzu menschlich nach dem spartanischen Einzelschlafzimmer das Bad: wohl von Jüngers Ehefrau mit rosa Dusch- und Fenstervorhängen sowie pinken Ablagen dekoriert. Hier badete Jünger noch als rüstiger Greis morgens eiskalt und dachte über die Alternative Herzschlag oder allmähliche Erwärmung des Wassers durch seinen Körper nach. Und hatte er besonderen Appetit, dann ging er in das an der anfangs beschriebenen Wegkreuzung gelegene Gasthaus zum „Löwen“ und aß dort seine Schlachtplatte. Mit Kesselfleisch und Blutwurst.

Diese Schlachtplatte muss man nicht militärisch-symbolisch interpretieren, sie bestellt hier auch der Nationalstürmer Mario Gomez gerne, der aus dem benachbarten Riedlingen stammt und nur Tore schießt.

Das Jünger-Haus ist Di–Fr von 9–1, freitags auch von 14 –16 Uhr geöffnet. Wochenendtermine auf: www.juenger-haus.de

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