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Kultur: Ernste Liebe

Vom Interpreten zum Entrepreneur: Wie ein Berliner Bariton für das Kunstlied brennt – und im Meistersaal den idealen Ort findet

Es sind keine 300 Meter von der historischen Ampel auf dem Potsdamer Platz bis zum Meistersaal. Vorbei an dem halbrunden Bürohaus mit der Lichtinstallation, rechts die Köthener Straße rein, dann sieht man schon die stolze Sandsteinfassade mit den sechs Säulen. Durchs stuckverzierte Foyer, die breite, geschwungene Treppe hinauf in die Belle Etage, ein paar Schritte übers Fischgrätparkett der Wandelhalle, dann steht man im Saal: Holztäfelung an den Wänden, schwere Gardinen, dunkle, wuchtige Kassettendecke, Prunklüster – Innenarchitektur gewordene Gründerzeit. Und auf der Bühne natürlich ein schwarzer Flügel, das Herzstück jeder bürgerlichen Saloneinrichtung. Vor dem inneren Ohr klingen Lieder auf, die mit Versen beginnen wie „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ oder „Im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen“.

Solche Lieder sind die Spezialität von Sebastian Noack. Kunstlieder, wie klassisch geschulte Musiker sagen, um die Heine-, Eichendorff- oder Goethe-Vertonungen vom Volkstümlich-Traditionellen abzugrenzen. Intime Kunstwerke, die dem Interpreten ebenso viel abverlangen wie seinem Publikum. Konzentration ist hier alles, nur wer mitdenkt, kommt den gesungenen Miniaturen nah, der klingenden Poesie. „Schönheit“, „Ästhetik“ und „Tiefgang“ bleiben denn auch als Schlüsselworte im Gedächtnis, wenn man mit Sebastian Noack über seine Passion redet. „Vielleicht“, sagt der Bariton und zögert einen Moment, „vielleicht sind wir beide etwas konservativ.“ Mit „wir“ meint der Enddreißiger sich und seinen Künstlerfreund, den Pianisten Manuel Lange. Das mit dem „konservativ“ will Noack aber differenziert betrachtet wissen: Schnöselige Einstecktuchträger und wertpapierene Neoliberale sind seine Sache nicht, auch beobachtet er mit Befremden, wie sich inzwischen im universitären Bereich eine neue Generation wieder freiwillig in alten Bahnen bewegt. Nein, die Werte, auf die sich die beiden Künstler berufen, sind bildungsbürgerliche Tugenden: Die Freude an der Konzentration auf eine einzige Sache, die Lust, sich gedanklich ganz zu versenken, das Vergnügen am Feingeistigen. Manuel Lange gibt dieses Kunst-Credo als Professor an der „Hanns Eisler“-Musikhochschule an die Gesangsstudenten weiter, Noack praktiziert es, wenn er als Solist durch die Lande tourt.

In Berlin aber, ihrer Heimat, fehlte ein Ort, an dem sie ihre Liebe ausleben können, ein Raum, der dem romantischen Kunstlied angemessen ist. Und weil Sebastian Noack den Meistersaal schon aus Westberliner Schülertagen kannte, weil die holzgetäfelte Halle nicht nur eine gediegene Akustik bietet, sondern auch den passenden Goldrahmen für das Repertoire, wagten die beiden Künstler den Schritt vom Interpreten zum Entrepreneur: Sie mieteten die 250-Plätze-Halle mutig für eine ganze Konzertserie. Auf volles eigenes Risiko.

Der Titel der Veranstaltungsreihe, „Meisterlied“, der Noack als Geistesblitz kam, fasst in einem Wort alles zusammen, was zum Thema gehört, vom Minnegesang über die musizierenden Handwerker des Mittelalters bis hin zu Schubert, Schumann, Brahms und all den anderen Meistern der Liedkunst im 19. Jahrhundert. Und er passt zum Gemäuer, dessen Geschichte im Jahr 1913 als Verbandshaus der Berliner Bauindustrie begann. Im Festsaal wurde den Handwerksgesellen nach bestandener Prüfung ihr Meisterbrief überreicht. Hier fanden aber auch Kammerkonzerte und Lesungen statt. Die Lage am Potsdamer Platz, mitten im Hochkulturzentrum der Stadt, sorgte für ausreichend Laufkundschaft. Und während das Stammhaus der Berliner Philharmoniker, gleich um die Ecke in der Bernburger Straße, im Zweiten Weltkrieg ein Opfer der Bomben wurde, konnte der Meistersaal 1947 wieder seine Türen öffnen. Mizzi Metelka-Voss, eine ehemalige Sängerin, versuchte es mit Boulevardtheater, ging aber baden. Nach einem Intermezzo als „Ballhaus Susi“ wurde in der Köthener Straße nur noch ohne Publikum gespielt: Das Gebäude verfiel zusehends, der Saal jedoch wurde das Zentrum der legendären „Hansa Tonstudios“. Größen wie David Bowie, Depeche Mode oder U2 schätzten die hall by the wall. Dennoch kam nicht genug Geld in die Kasse, 1990 wurden die Mikros ausgeschaltet. Das hätte auch den Abriss bedeuten können, doch Besitzer Thomas Meisel entschloss sich, den durch die Wende zurück ins Zentrum gerückten Standort in historischem Glanz wiederauferstehen zu lassen.

Trotzdem hat es mit der Renaissance des Meistersaals als kulturellem Treffpunkt bislang nicht geklappt – als verstellten die riesenhaften Schatten der Hochhäuser vom Potsdamer Platz den Blick auf das wilhelminische Schmuckkästchen. Sebastian Noack und Manuel Lange glauben dennoch an diesen Ort, der so gut zu ihrer Musik passt. Am Donnerstag, den 18. Oktober, starten sie die „Meisterlied“-Saison gemeinsam mit der Sopranistin Maria Bengtsson von der Komischen Oper und einem skandinavischen Programm mit Werken von Edvard Grieg, Jean Sibelius sowie Andersen-Vertonungen von Robert Schumann. Streng nach Senecas Motto „Res severa verum gaudium“: Wahre Freude ist eine ernste Sache.

Informationen unter www.meisterlied.de oder telefonisch unter 30 10 17 69.

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