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Szene vom Eröffnungsabend im HAU 1

© Doune Photo

Eröffnung des Festivals Tanz im August: Aufruhr der Körper

Laszive Hüften im Glitzercape - und eine Menge Politik: Das Festival Tanz im August eröffnet im HAU 1 mit „Kalakuta Republik“ des Choreografen Serge Aimé Coulibaly.

Von Sandra Luzina

Scheinbar endlos ist Fela Kutis Song „Army Arrangement“ von 1985, in dem er die Militärdiktatur in Nigeria attackiert – und vom Wunsch nach demokratischer Erneuerung singt. Bei der Eröffnung des Festivals Tanz im August im HAU 1 kann man sich vom Flow des Afrobeats mitreißen lassen. Der Choreograf Serge Aimé Coulibaly aus Burkina Faso hat sich von dem legendären nigerianischen Musiker zu seinem Stück „Kalakuta Republik“ inspirieren lassen. Fela Kuti, Erfinder des Afrobeats, war auch politischer Aktivist. Anfang der siebziger Jahre hatte er in Lagos eine „befreite Republik“ mitten im Herrschaftsbereich der damaligen Militärdiktatur ausgerufen, die Kalakuta Republik. Kuti selbst gab den Ton an in der KünstlerKommune, die unter anderem über ein Tonstudio und eine Krankenstation verfügte. Der Godfather des Afrobeats war aber keineswegs unumstritten, Fela Kuti galt auch als Macho und Tyrann.

Serge Aimé Coulibaly jedenfalls hebt den Musiker nicht aufs Podest. Er tänzelt in weißen Hosen auf die Bühne und markiert den Anführer, der von Anfang an als ambivalente Figur erscheint. Die sechs übrigen Tänzer bewegen sich zunächst auf der Stelle, bei wachsender Spannung formiert sich Widerstand. Eruptive Gesten kontrastieren mit gebrochenen, eckigen Bewegungen. Immer wieder gehen die Tänzer auf die Knie, sinken zu Boden, stehen wieder auf. Die Performer verausgaben sich physisch, man spürt den Aufruhr der Körper, aber der politische Kontext bleibt eher vage.

Katzenjammer nach der Partynacht

Nach der Pause herrscht eine Art Katzenjammer, wie nach einer wilden Partynacht. „Dekadenz kann ein Selbstzweck sein“, der Satz wird auf die Leinwand projiziert. Antonia Naouele steht im rotgeblümten Kleid auf einem Metallkoffer und bewegt lasziv die Hüften. Ahmed Soura torkelt mit Bierflasche über die Bühne. Später brüllt er: „Eines Tages werde ich Präsident sein“. Sex, Drogen, krude Machtfantasien: Die politischen Freiheitskämpfer werden im Privaten als dekadente Macker und Unterdrücker entlarvt. Antonia Naouele und Ida Faho emanzipieren sich jedoch von ihrer Groupie-Rolle. In einem synchron getanzten Duo verbinden sie auf hinreißende Weise afrikanischen und westlichen zeitgenössischen Tanz. Zum Schluss tragen die Männer die gestikulierenden Tänzerinnen auf ihren Schultern. Nun geben die Frauen den Ton an.

Die Frage nach dem künstlerischen Engagement treibt Serge Aimé Coulibaly um. Das hat er im letzten November schon mit dem politisch aufgeladenen Stück „Nuit blanche à Ouagadougou“ bewiesen, das von der Demokratiebewegung in Burkina Faso inspiriert war. „Kalakuta Republik“ versteht sich nun nicht nur als Fanal des Widerstands, sondern zeigt auch die Verführbarkeit des Künstlers. Wobei das Stück trotz des elektrisierenden Afrobeats schon mal in Monotonie abdriftet.

Karussells auf dem Rummelplatz

Weiter im Programm: Die Berliner Choreografin Lea Moro hat sich von der lauten Welt der Freizeitparks zu ihrem Stück „Fun!“ inspirieren lasen. Moro will Spaß haben und zugleich darüber nachdenken, wie Vergnügen in unserer Gesellschaft hergestellt wird. Anfangs stecken die Tänzer mit dem Kopf in einer runden Pappschachtel – oder mit dem gesamten Körper in einer langen Röhre aus Schaumstoff. Wie die Karussells auf dem Rummelplatz beginnen sie zu rotieren. Oder sie rutschen eine kleine Rampe herunter.

Mit Rummelplatz-Attraktionen wie der „Lollipop Lagoon“ oder dem „Tunnel of Love“ können Lea Moro und ihre schrägen Performer natürlich nicht konkurrieren. Hier geht es eher darum, die Formeln des Vergnügens zu untersuchen und zugleich zu unterlaufen. Die Performer formieren sich zum Chor und singen „Happiness is our business“, sie legen sich mächtig ins Zeug, auch wenn sie manchmal nur müde Tricks draufhaben. Richtig grotesk wird es bei der Zaubernummer mit dem Schwammbällchen: Micha Goldberg wächst tatsächlich eine ganze Traube roter Bällchen aus dem Mund. Am Ende tragen die sechs Performer einen Umhang um die Schulter, der an die Pompons von Cheerleadern erinnert. Immer heftiger beginnen sie sich in ihrem Glitzercape zu schütteln – ein lustiges Bild, eine offenbar lustvolle Action.

Mein Körper ist ein Vergnügungspark: So lautet hier das Konzept, das teils auf absehbare, teils auf verblüffende Weise umgesetzt wird. Vergnügen wird als Arbeit, als Dienstleistung angesehen, manchmal springen die Tänzer aber auch wie Kinder über die Bühne. Ihr Übermut hat etwas Ansteckendes.

Der 29. Tanz im August läuft bis 2. 9. Infos: www.tanzimaugust.de

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