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Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals: Der ewige Nomade

Leben an den urbanen Rändern: Juan Goytisolo singt zur Eröffnung das Hohelied der Stadt in Bewegung.

Von Gregor Dotzauer

Einige Sekunden lang bebt am Mittwochabend im Haus der Kulturen der Welt (HKW) tatsächlich der Saal. Der Riesengong, der zur Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals ertönt, sendet seine Druckwellen mit einer Macht ins Auditorium, die sämtliche Grußworte ins Reich der lauen Lüftchen verbannt. Eine verbale Fanfare noch, als Bernd Scherer, Intendant des Obdach gewährenden HKW, vermeldet, man habe den chinesischen Dissidenten Liao Yiwu, der in „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ (S. Fischer Verlag) ein mitreißendes Panorama seines Landes entwirft, nach hartnäckigen Ausreiseverboten nun doch nach Berlin bringen können. Dazu noch ein Appell von Joachim Sartorius, dem Intendanten der Berliner Festspiele, der lang geplanten Künstlerakademie am Bosporus die verdiente kulturpolitische Chance zu geben. Dann sinkt die Spannung stetig.

Werner Wendt leitet nicht nur die Kultur- und Kommunikationsabteilung des Auswärtigen Amtes. Er ist, was einen sofort auf böse Gedanken bringt, auch für das Referat Deutsch als Fremdsprache zuständig. Zu seiner Entschuldigung kann höchstens gesagt werden, dass die Nachhaltigkeits- und Kulturkommunikationsbinsen, die er zum Besten gibt (einsamer Höhepunkt: „Die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen“) vermutlich nicht auf seinem rhetorischen Mist gewachsen sind und allein die Schmerzlosigkeit, mit der man dergleichen vorträgt, Bewunderung verdient. Auch hätte die ursprünglich angekündigte Staatsministerin Cornelia Pieper genau dieselbe Rede gehalten. Wie sagt Festivalleiter Ulrich Schreiber in seinen Einlassungen mit einem Wort, das jeder Rede Kraft und Glanz verleiht, gleich viermal? Anyway.

Alle Hoffnungen ruhen also auf Juan Goytisolo, dem von Sigrid Löffler prägnant eingeführten, fast 80-jährigen Katalanen, der einen großen Teil seiner Zeit in seiner marokkanischen Wahlheimat, in Marrakesch, verbringt. Goytisolo nennt sich in seiner großen Rede über „Raum in Bewegung“ einen „notorischen Stadtnomaden“, aber die innere Unruhe, die ihm heute noch in den Knochen sitzt, reicht doch nur einen geschliffenen und gelehrten, aber auch seminaristisch unlebendigen Vortrag über die wechselseitige Befruchtung von Topografien und Typografien. Goytisolo singt noch einmal das Lied vom entgrenzten Leben an den urbanen Rändern. Bis heute staunt er offenbar, dass ihm die Flucht aus dem kulturell isolierten, katholischen Franco-Spanien gelang. Sich selbst zitierend, erinnert er an seine wilden Pariser Jahre mit Guy Debord, schlägt den Bogen von Charles Baudelaire zu Walter Benjamin und landet am Ende in Berlin-Kreuzberg, wo er ferne Länder an die Türe klopfen hört wie weiland in Barbès. Das steckt einem weder neue Lichter auf noch entfaltet es politische Dringlichkeit. Aber vielleicht folgen diesem müden Auftakt ja noch furiosere Augenblicke. Ein Festival mit solchem Anspruch braucht jeden Funken Leidenschaft.

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