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Kultur: Erpresser mit Holzhammer

Unverkennbar, dieser O-Ton aus dem Berlin der Weimarer Republik: angeschrägte Klassik.Und doch ist alles in der "Bürgschaft" so ganz anders dimensioniert: Kurt Weills Oper in einem Prolog und drei Akten aus dem Jahr 1932, die, 1957 wiederaufgenommen, dann sofort in der Versenkung verschwand.

Unverkennbar, dieser O-Ton aus dem Berlin der Weimarer Republik: angeschrägte Klassik.Und doch ist alles in der "Bürgschaft" so ganz anders dimensioniert: Kurt Weills Oper in einem Prolog und drei Akten aus dem Jahr 1932, die, 1957 wiederaufgenommen, dann sofort in der Versenkung verschwand.Vierzig Jahre danach hat sie jetzt einen triumphalen Erfolg errungen - in Bielefeld, das sich in der nun zu Ende gehenden ruhmvollen Intendantenära von Heiner Bruns enorme Verdienste um die Rehabilitierung so vieler Opern aus dem Giftschrank der Nazis erworben hat.

Zugegeben, daß das ganz in der Nachfolge der Brechtschen Lehrstücke geschriebene Textbuch von Caspar Neher mit seinen Holzhammer-Sentenzen seinen marxistischen, heutzutage schwer verdaulichen haut goût verströmt.Und so bläut es uns der Chor gut drei Stunden lang geradezu leitmotivisch immer wieder ein: "Es ändert sich nicht der Mensch.Es sind die Verhältnisse, die seine Haltung verändern." Unter dem Druck dieser Verhältnisse verändert sich die Freundschaft zwischen dem Viehhändler Johann Mattes und dem Getreidehändler David Orth, in der einer für den anderen einsteht und bürgt, in eine erbitterte Feindschaft, in der beide einander an den Kragen gehen und Orth schließlich seinen früheren Freund der Menge ausliefert, die ihn lyncht.Nicht etwa, daß es im Lande Urb zuvor nur friedfertig und brüderlich zugegangen wäre - dafür sorgt das Trio der Gläubiger, Wegelagerer, Erpresser und Spitzel.Aber damals gab es noch den weisen Richter, der abgesetzt wird, als die neuen Herrscher das Land besetzen und die Gesetze etablieren, "die wir für gut befinden, das Gesetz des Geldes und das Gesetz der Macht".

Es müssen schon sehr taube Ohren sein, die sich ob dieser vulgär-marxistischen Kapitalismuskritik dem musikalischen Reichtum dieser Oper verschließen, die Weill als Nummernoper konzipiert hat, mit zwei Chören, instrumentalen Stücken, ariosen Gebilden, Ensembles und Finale.Alles ist hier größer, weiträumiger dimensioniert als in seinen früheren Werken, monumentaler auch.Neuartig die Dominanz massiver, an Bachs Passionen und Händels Oratorien orientierter Chöre, während der Songstil entschieden zurückgedrängt wird und den Gaunern vorbehalten bleibt (brillant inszeniert und choreographiert, haben sie die ätzende Schärfe von Kabarett-Nummern der Marke George Grosz und Bob Fosse).

Auffallend auch die sparsame, dafür um so pointiertere Instrumentation, die den lakonischen Stil des ganzen Werkes unterstreicht und durch die Einbeziehung zweier Klaviere noch gehärtet wird.Die Zeitgenossenschaft zu Strawinskys "Oedipus Rex" wird nicht verleugnet, gleichwohl steht die unverkennbare Weillsche Identität keinen Augenblick in Frage.

So holzschnittartig der Stil der "Bürgschaft" ist, so antiillusionistisch gibt sich die Inszenierung von Jonathan Eaton in Thomas Grubers planem, lamellenartigen, sparsamst möbliertem Bühnenraum.Ihr Nachteil ist, daß sie den ohnehin zu schwach besetzten Chor im ersten Teil zu weit hinten postiert, so daß die Textverständlichkeit entschieden zu kurz kommt.Später aktiviert Eaten den Chor dann erheblich und erreicht im Crescendo der Gewaltsamkeiten unter den neuen Machthabern, die das Land mit Krieg, Hunger, Teuerung und Krankheit überziehen, geradezu atembeklemmende Assoziationen zur Apokalypse des "Tausendjährigen Reiches".Der von Matthias Köhler und Jacob Franck gewissenhaft einstudierte Chor und das von Rainer Koch animiert dirigierte, aber doch ohne den nötigen Biß spielende Philharmonische Orchester können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die als Ensembleleistung uneingeschränkt zu bewundernde Bielefelder Einstudierung chorisch und orchestral eine bis zwei Nummern zu klein ausgefallen ist.

Keine derartigen Abstriche bei dem hochgradig besetzten Solistenensemble, angeführt von dem voluminöse Kraft und puren Baß-Wohlklang verströmenden Martin Blasius als David Orth und dem schlanken, eleganten Kavaliersbariton von William Oberholzer.

Keine Frage, daß es sich hier um ein Zentralwerk des Musiktheaters der Weimarer Republik handelt.Wenn die deutschen Opernintendanten sich noch eine Spur von Entdeckerneugier abseits der gewohnten Repertoirepfade bewahrt haben, müßten sie sich eigentlich nach der so positiv ausgefallenen Bielefelder Probe aufs Exemple mit Elan auf diese "Bürgschaft" stürzen!

HORST KOEGLER

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