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Kultur: Eruption und Disziplin

Benefiz mit Barenboim und Anne-Sophie Mutter.

Für ein Benefizkonzert wirft man nach vorne, was immer man hat. Die Berliner Staatsoper, noch längere Zeit ganz aus ihrem historischen Häuschen und künstlerisch in betont gutgelauntem Wünschelrutengang nach Jürgen Flimms Manier, hat Daniel Barenboim und seine Staatskapelle. Eine gewachsene Beziehung seit 20 Jahren, längst hat man sich lebenslange Treue versprochen. Geld einzusammeln für die Sanierung Unter den Linden ist da eine Selbstverständlichkeit, zu der man gerne weitere Stars bittet.

Diesmal ist Anne-Sophie Mutter dem Werben gefolgt, um das Violinkonzert von Brahms in der Philharmonie zu spielen, das sie dort einst mit Karajan für die digitale Ewigkeit aufnahm – in einem anderen Leben, so scheint es. So formvollendet wie ihr Auftritt ist auch ihr Spiel, immer kraftvoll, stets gerundet und dabei kaum merklich, aber unbedingt kontrolliert. Anne-Sophie Mutter ist in jeder Hinsicht das komplette Gegenteil von Barenboim. Sie die durchtrainierte, optimierte, verlässliche Spitzensportlerin, er der eruptive, trotzige, bisweilen auch ausgepowerte Spontanmusiker. Ihr Zusammentreffen jedoch verläuft ohne offene Konfrontationen, was vor allem an der weitreichenden Anpassungsfähigkeit von Mutter liegt. Sie verfügt über genügend Klangreserven, um bei Barenboims schleppenden Tempi nicht die Stimme zu verlieren. Ihr Goldton glänzt über alle matt bleibenden Passagen hinweg, auch plötzliche Stimmungseinbrüche können sie nicht erschüttern. Auf diese Art kann man ein Benefizkonzert als Gaststar gut überstehen, ja man kann es sich sogar leisten, das Publikum auf seinen teuren Unterstützersitzen ohne eine Zugabe zurückzulassen. Nur, ein packender Brahms kommt dabei leider nicht heraus – auch nicht in der zweiten Konzerthälfte.

Bei Barenboims Interpretation von dessen vierter Symphonie scheint es über weite Passagen, als könne allein dies den Maestro noch motivieren: auszuloten, was er seinem Kollektiv alles abverlangen kann. Wie weit kann ich mich zurück ins Teilnahmslose fallen lassen, wie langsam kann ich taktieren, wie abrupt Akzente einfordern.

Es ist beinahe schon unheimlich, wie viel Musik auf diesem Weg dann doch noch entsteht, mit welcher Auffassungsgabe und Kunstwilligkeit die Staatskapelle ihrem Chefdirigenten folgt. Und es wächst eine Sehnsucht – nach Widerstand, beherztem Ringen, wahrlich bewegender Klassik. Ulrich Amling

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