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Kultur: Erweckt

„Casanovas Traum“ in der Werkstattgalerie.

Berlin im Winter 1967. Währen draußen die ersten Studentenunruhen stattfinden und gleichzeitig über die demokratische Architektur der Philharmonie von Hans Scharoun gestritten wird, versammeln sich die Künstler Alexander Camaro, Bernhard Heiliger und Rudolf zur Lippe in Lippes Wohnung in der Meinekestraße und grübeln über einer Bilderflut des 17. und 18. Jahrhunderts. Es sind Konvolute aus Kupferstichen, Zeichnungen und Illustrationen, die die drei Künstler studieren und später zu surrealistischen Collagen zusammenführen. Am Winterende sind 48 Collagen entstanden, allesamt trotz ihrer Maße von 30 x 16 cm kleine Meisterwerke. Ausgestellt werden sie nicht, aber abgedruckt: in der aufwendigen Ausgabe eines bis dato unbekannten Romans von Giacomo Casanova mit dem Titel „Eduard und Elisabeth oder die Reise in das Innere unseres Erdballs“. Eine Utopie, in der ein englisches Geschwisterpaar ins Innere der Erde reist und dort auf kleine, heitere und lebenskluge Fantasiewesen trifft.

Zum ersten Mal sind die Originalcollagen (je 500 Euro, gesamt: 23 000 Euro) jetzt in der Werkstattgalerie als „Casanovas Traum“ zu sehen. Auf den Collagen aus Fotografien, Reproduktionen, bedruckten Folien und gezeichneten Elementen tummelt sich eine Bilderwelt, wie sie Casanova zu Lebzeiten allgegenwärtig gewesen sein muss: barocke Damen und Säuglinge, klassizistische Architektur, Entwürfe von technischen Geräten und geometrische Berechnungen. Manchmal bis ins Detail verworren, manchmal ganz klar und rein addiert.

Die Collagen erzählen aber auch eine Berliner Geschichte: Rudolf zur Lippe arbeitet Ende der 60er Jahre im Berliner Propyläen-Verlag und bekommt mit, dass man für einen unveröffentlichten Casanova-Band Illustrationen sucht. Heiliger wiederum lehrt an der Hochschule für Bildende Künste und ist mit Camaro befreundet. Bald darauf verbringt Lippe jede freie Minute in Kunstbibliothek und Kupferstichkabinett, nimmt die Dienste des damaligen Fotografen der Stadt Berlin in Anspruch und lässt zahlreiche Abzüge der von ihm gesammelten Bilder erstellen. Damit tingelt er regelmäßig in die Ullstein-Druckerei, die die Bildchen auf verschiedenste Folien druckt. Jeden Sonntag breitet er dann Casanovas Welt auf seinem Küchentisch aus, und während die Schneeflocken leise an sein Fenster klopfen, fügen er, Camaro und Heiliger die Collagen zusammen.

Die letzten 40 Jahre verbrachten die Arbeiten in einer Schublade. Lang genug, fanden die Galeristen Mirko Freiwald und Pascual Jordan. In ihrer Galerie demonstrieren sie, wie sehenswert die surrealen Artefakte auch ein halbes Jahrhundert später noch sind. Lena de Boer

Werkstattgalerie, Eisenacher Str. 6; bis 24.12., Di–Fr 12–19 Uhr, Sa 12–16 Uhr

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