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Kultur: Erznonsens

Die neue Gefahr-Bar in der Schaubühne.

Freigetränke fördern das Wohlbefinden. Und sie stärken die Theater-Zuschauer- Bindung, das ist ja heutzutage auch nicht unwichtig. Also werden in der „Gefahr- Bar“ an der Schaubühne in schöner Regelmäßigkeit Wodka, Rotwein und Orangensaft ausgeschenkt, auf dass man sich ganz fallen lassen möge. Regisseur und Musiker Nicolas Stemann hat mit seinen Bandkollegen Thomas Kürstner und Sebastian Vogel die „Gefahr-Bar“ vor vielen Jahren in Wien erfunden, als Ad-hoc-Performance ohne dramaturgisches Stützkorsett: Konzert trifft Gegenwartsspott, kalauerselig und dialektisch versiert.

An drängenden Fragen der Zeit herrscht in dieser ergebnisoffenen Ironie-Schänke kein Mangel. Hat die Apokalypse nun eigentlich stattgefunden, oder ist nur der Kalender untergegangen? Gott selbst tritt auf und weiß sich keinen Rat. Also erst mal ein Lied singen. Am besten die unsterbliche Bienen-Hymne des anderen Gottes, Karel nämlich, nur leicht umgedichtet auf das „kleine, freche schlaue Volk der Maya“! Derart gewärmt, kann das eigentliche Thema dieses 90-minütigen Abends in Angriff genommen werden: die Kultur. Ist sie noch zu retten? Oder wenigstens die Verzweiflung daran?

Im Casting-Format „Deutschland sucht den Superkünstler“ müssen Betriebsgranden wie Jonathan Meese vor einer Jury aus Heidi Klum (Stemann unter blondem Mob), Elfriede Jelinek und Peter Handke bestehen. Während der Schriftsteller grantelt „Ich habe nicht ein einziges Mal Serbien gehört, ist das Absicht?“, nimmt die nobelpreisprämierte Kollegin im besten Bierernst den charakteristischen Meese-Slang auf: „Erzgitarre gleich Schmerzgitarre“. Das hat schon mal kulturkabarettistischen Glanz.

Wie überhaupt die meisten der Miniaturen zum beschwingten Pop-Elektro-Bebop-Sound. Da wird über ein Mohammed-Musical mit abwesender Hauptfigur fabuliert, das am Theater des Westens ansteht, oder inszeniert es Robert Wilson am BE? In Liebesliedern eigener Façon wird das Hören von Motetten des Thomanerchors beschworen. Und in den Videos von Claudia Lehmann tanzen die Performer über den Ku’damm in Affen- und Adlerkostümen, die an die tierischen Werbeplakate des HAU erinnern.

Das alles ist höhere Nonsens-Schule, aber schlau und vergnüglich. Freilich, kein „Gefahr-Bar“-Abend ähnelt dem anderen, auch das ist Konzept. Wem’s also nicht gefallen hat, den laden Stemann und Kollegen trotzdem zum Wiederkommen ein. Bestimmt gibt’s dann auch wieder was zu Trinken umsonst (wieder 10. Januar, 20 Uhr). Patrick Wildermann

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