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Kultur: Es fährt ein Zug nach Nirgendwo

Kennen Sie diesen Effekt? Kaum setzt sich die U-Bahn in Bewegung, zischen die Gedanken davon, überspringen Gleise, Stationen, die Stadt und eilen dem Körper voraus.

Kennen Sie diesen Effekt? Kaum setzt sich die U-Bahn in Bewegung, zischen die Gedanken davon, überspringen Gleise, Stationen, die Stadt und eilen dem Körper voraus.Noch sind Gedankenströme nicht sichtbar im verschlungenen Wegeplan, den Körper, Objekte, Codes und Energie in unseren Städten nehmen.Was in diesem Netz sichtbar wird und was in ihm verschwindet, beschäftigt die Kuratorin Inke Arns.Sie hat zu diesem Thema die Künstler Sandra Becker, Daniel Pflumm und Blank & Jeron in den Neuen Berliner Kunstverein eingeladen.

Als Sandra Becker 1993 mit einem Stipendium der Malerei nach Rußland kam, verstand sie die Sprache nicht.In dieser Situation der Fremdheit bekam die Beobachtung von Menschen einen neuen Stellenwert.In der Moskauer Metro begann sie ihr Gegenüber mit der Videokamera aufzunehmen, seitdem hat sie in Berlin, Tokio und New York in U-Bahnen, Wartesälen und Bahnhöfen gearbeitet.In Fotos und Videos montiert sie das Material zu einer endlosen Reise, in der sich die Unterschiede der Städte verwischen und die Mobilität des Alltags zu einer abstrakten Choreographie wird.Für die Reisenden sind wir, die Beobachter, nicht existent.Ihr Blick bleibt abgewandt und müde.Am Ende kommen Beckers Bilder aber kaum über die alltägliche Perspektive hinaus, auch wenn ihr Wunsch, diese zu transzendieren und die Verkehrsströme als weltumspannenden Code neu zu entziffern, zu spüren ist.

Auch bei Daniel Pflumm sind die Eingriffe in die Ästhetik der Werbung, mit der er sich auseinandersetzt, so minimal, daß man sie leicht übersehen kann.Seine Videoarbeit unterscheidet sich von dem Demoband eines Werbedesigners im Grunde genommen nur in einem einzigen Punkt: Sie wird in einer Galerie und nicht auf einer Messe gezeig.

"Body of the message": der Titel der Ausstellung, die als vierter Teil der Reihe "Ortsbegehung" wieder Künstler aus Berlin vorstellt, spielt auf eine Wahrnehmung an, die Körper und Objekte als Träger von Informationen entschlüsseln will und nicht mehr in unmittelbarer Einheit erleben kann.Die Umstrukturierung des öffentlichen Raums, der in immer weiteren Teilen vom virtuellen Raum geschluckt zu werden droht, weckt die Frage nach dem Verbleib der Körper und den zukünftigen Orten der leiblichen Erfahrung.

Joachim Blank und Karl Heinz Jeron nehmen diese Frage wörtlich.Sie lassen den Körper des Ausstellungsbesuchers ins Internet eintreten: tatsächlich kann dort jeder seinen Fußabdruck hinterlassen, indem er in der NBK über einen Scanner läuft.Aber sagt das dem Betrachter am Bildschirm nun mehr, als daß jemand mit Schuhgröße 34 unterwegs war?

Der Verdacht, daß Blank & Jeron die Kommunikationsmöglichkeiten des Internet nicht ganz so wunderbar finden, wie ihre farbenprächtige und großformatige Installation zunächst vermuten läßt, erhärtet sich beim Blättern im Katalog.In ihrer Aktion "Dump your trash" bieten sie an, die persönliche Website auf Bestellung in Stein zu meißeln - damit tragen sie den Glauben an die Beglückung der Menschheit durch die stets aktualisierbare Information auf anständige Weise zu Grabe.

NBK, Chausseestr.128/129, bis 16.August; Dienstag bis Freitag 12-18 Uhr, Sonnabend, Sonntag 12-16 Uhr

KATRIN BETTINA MÜLLER

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