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Heinz Bude, 56, ist Soziologe und Leiter des Arbeitsbereichs „Die Gesellschaft der Bundesrepublik“ am Hamburger Institut für Sozialforschung.

© Hamburger Institut

Interview: „Es gibt keine German Angst mehr“

Nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg ist nichts mehr wie vorher. Der Soziologe Heinz Bude über die neue Mitte, den Sieg der Grünen und die Prinzipien der CDU.

Herr Bude, was ist das historische Moment dieser Wahl: Dass die CDU ihr Traditionsland Baden-Württemberg verliert oder dass erstmals ein Grüner Ministerpräsident werden kann?

Man kann es so zusammenfassen: Wir erleben eine deutliche Veränderung in der Konstellation der politischen Mitte in Deutschland. Es ist nicht nur das Ökologieproblem, das den Leuten unter den Nägeln brennt; sie wollen auch völlig neu über den Zusammenhang von Wirtschaft und Umwelt nachdenken. Man sieht darin keinen Gegensatz, sondern eine Vermittlung. Die gesellschaftliche Mitte in Deutschland will wirtschaftliche Produktivität und ökologische Sensibilität als Einheit begreifen.

Was hat das mit Baden-Württemberg zu tun?

Baden-Württemberg ist nicht zuletzt deshalb wirtschaftlich so erfolgreich, weil die Unternehmen dort längst verstanden haben, dass man mit Ökologie gutes Geld verdienen kann. Die exportorientierte Hochproduktivitätsökonomie aus Deutschland punktet weltweit mit diesem neuen Zusammenhangsdenken.

Sie sprechen von Umwelttechnologien?

Das betrifft nicht allein die klassischen Umwelttechnologien wie Solar- oder Windtechnik, sondern auch das Autocluster, den Werkzeugmaschinenbau oder die Medizintechnik. Überall wird ein neues Zeitalter der Industrie eingeläutet, das Energie und Wissen anders kombiniert. „Made in Germany“ heißt heute slow, smart und safe.

Die CDU meint, die Wahlen wegen der Atomkatastrophe in Fukushima verloren zu haben. Aber hat sie das Debakel nicht eher mangelnder Glaubwürdigkeit zu verdanken? Merkel und Mappus haben ihre energiepolitischen Positionen ja innerhalb von Tagen über den Haufen geworfen.

Wenn Merkel und Mappus gesagt hätten: Wir haben gelernt und sehen, dass wir Fehler gemacht haben, dann hätte das die Wähler noch überzeugen können. Aber ihr Positionswechsel wirkte wie ein bloßes Manöver zur Landtagswahl. Dazu gehört auch diese merkwürdige Idee, eine Ethikkommission zur Frage des AtomAusstiegs einzuberufen. Das haben die Leute als Ausstieg ins Konsenspalavern verstanden. Aber das Hauptproblem war natürlich der Energiekompromiss, der hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden war. Das hat man der Kanzlerin nicht verziehen.

Geradlinigkeit, das Festhalten an Überzeugungen gehören nicht zu den Qualitäten der Bundesregierung. Ist die CDU dabei, ihren Markenkern zu verlieren?

Das glaube ich nicht. Es gibt sicher einen starken Renovierungsbedarf in der CDU, für den nicht zuletzt Angela Merkel steht. Da ist einiges passiert, aber der Grundriss fehlt. Es ist unklar, was für eine Gesellschaft die Konservativen in Deutschland wollen. Im Augenblick steht die CDU als Taktiererpartei da, deren Chefin von Umfragedaten getrieben wird. Auch personell ist die Konstellation der Zukunft innerhalb der Partei noch nicht geklärt. Zu erkennen ist das etwa am Atomskeptiker Norbert Röttgen, bei dem man nicht weiß, ob er für den Mainstream steht oder eine Randfigur bleibt.

Was sind die Grundprinzipien der CDU?

Die CDU hat einen goldenen Ordnungsbegriff: Es ist der eigentümlich klingende Begriff der Subsidiarität. Also die Idee, dass die kleinen Einheiten eine Intelligenz ausbilden, die von großen und übergeordneten Zusammenhängen nicht einfach übergangen werden kann. Dass die soziale Intelligenz einer dezentralen Logik folgt. Das hört sich wahnsinnig grün an, ist aber ein Kern des konservativen Denkens in Deutschland. Dazu gehört die Frage, wie Verantwortung in einer pluralen Gesellschaft organisiert werden kann. Das gilt für Energiekompromisse genauso wie für Bildungsexperimente. Die Proteste gegen Stuttgart 21 haben die Frage aufgeworfen, ob in der Mitte unserer Gesellschaft eine neue Form von Bürgerlichkeit entstanden ist, die sich aus der Idee des Experiments versteht, die lokale Intelligenz ernst nimmt und vor Ort nach lebbaren Modellen des Gelingens sucht. Da hat sich die CDU zu schnell darauf festgelegt, nach der Logik einer zentralen Technokratie, ein einmal beschlossenes Großprojekt gnadenlos durchzupeitschen.

Vor der Bundestagswahl 2009 hatten Sie Angela Merkel für ihren „postideologischen Stil“ gelobt. Steht sie inzwischen nicht als ideenlos und wankelmütig da?

„Wankelmütig“ ist die falsche Formulierung. Ich glaube, dass es Merkel auch in der politischen Repräsentation um eine Idee von vernünftigem Lernen geht. Das Problem ist: Wirkt ihr Lernen wie ein Zickzackkurs, oder ist da eine Bewegung mit Richtung zu erkennen? Jetzt zu sagen, die können nicht standhalten, ist eine allzu wohlfeile Reaktion. Merkel müsste Fehler bekennen, sie müsste Rücknahmen begründen und sie müsste sagen – was sie bei der Finanzkrise getan hat –, dass es Situationen gibt, die so unerwartet sind, dass sie uns auf Grund setzen. Das hätte sie auch nach Fukushima tun können.

Die Grünen haben erstmals mehr als 20 Prozent der Stimmen bekommen. Ist die Antipartei nun eine Volkspartei?

Sie ist zumindest eine Partei der Mitte geworden. Die Grünen fahren die Erfolge für die Erweiterung der Bildungsbeteiligung und die Aufstockung der Einkommen in der oberen Mittelklasse ein, sie sind die Partei der Bessergebildeten und Besserverdienenden geworden. Sie sind allerdings auch zu einer Staatspartei geworden, das ist ihr Hauptproblem. Die Grünen müssen sich darauf in ihrer inneren strategischen Ausrichtung einstellen, die wirkliche Vollendung der Transformation von einer Bewegungs- zu einer Staatspartei steht noch aus. Da habe ich, wenn ich auf das Personal blicke, gewisse Sorgen. Das sind Leute, die sich immer noch in ihren kämpferischen Posen gefallen. Aber auch der Stil des Durchblicks, wie ihn Jürgen Trittin als Herbert Wehner der Grünen verkörpert, passt nicht mehr.

Noch vor drei Wochen, vor dem Erdbeben in Japan, wären die Wahlen anders ausgegangen. Leben wir in einer Stimmungs- oder Ereignisdemokratie?

Nein. Wir befinden uns zum zweiten Mal nach der Finanzkrise in einer Situation, in der uns Hören und Sehen vergeht. Das mit einer Ereignisdemokratie zusammenzubringen, ist die falsche Kategorie. Das Grundproblem liegt im Umgang mit grundlegenden Unsicherheiten, die als handhabbare Risiken berechnet werden. Auf einer Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten bei der Bündelung von Risiken hatten auch die Finanzmärkte aufgebaut. Das ist in die Brüche gegangen, das ist ein Verlust der Grundlagen unserer Orientierung in der Welt. Fukushima war sozusagen der zweite Super-GAU innerhalb von kürzester Zeit. Da werden sich unsere Nachfahren noch in hundert Jahren die Augen reiben und fragen: Wie haben die Leute das ausgehalten?

Die hohe Wahlbeteiligung gilt als Beleg für einen neuen Bürgersinn. Aber ist es nicht eher unpolitisch, wenn Wähler sich nur von einem Thema treiben lassen?

Wir müssen auch da mit unseren Rastern aufpassen. Es gibt keine German Angst mehr. Die Deutschen haben relativ ruhig auf den Crash der Finanzmarktkrise reagiert, sie haben jetzt auch relativ ruhig auf die ökologische Krise reagiert. Sie haben nur gesagt: Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen.

Das Gespräch führte Christian Schröder.

Heinz Bude, 56, ist Soziologe und Leiter des Arbeitsbereichs „Die Gesellschaft der Bundesrepublik“ am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er lehrt an der Universität Kassel.

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