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Kultur: Es ist vollbracht

Peter Laudenbach freut sich auf Christoph Schlingensief in Bayreuth Vielleicht ist Helmut Kohl doch der Größte. Er hat alles überstanden, sogar Christoph Schlingensiefs Parole „Tötet Helmut Kohl“.

Peter Laudenbach freut sich auf

Christoph Schlingensief in Bayreuth

Vielleicht ist Helmut Kohl doch der Größte. Er hat alles überstanden, sogar Christoph Schlingensiefs Parole „Tötet Helmut Kohl“. Helmut Kohl hat sich zurückgelehnt und müde gelächelt über diese Berliner Theaterschreihälse. Buddhagleich in sich ruhend wäre er nie auf die Idee gekommen, den Provokateur ernst zu nehmen oder gar anzuzeigen. Damit dürfte Kohl die letzte verbliebene Stütze der deutschen Kulturnation gewesen sein, die dem Prinzip Schlingensief widerstehen konnte. Alle anderen sind längst, freiwillig oder unfreiwillig, zu Mitspielern in Schlingensiefs Zirkus geworden. Der FAZHerausgeber Frank Schirrmacher und Alfred Biolek, die wahlkampftreibenden Bundestagsparteien und Niklas Luhmann, 4 Millionen Arbeitslose und die katholische Kirche, Sabine Christiansen und Oskar Lafontaine – alle verwandelten sich irgendwann zu Akteuren in Schlingensiefs Spektakeln, in denen dieses Land als ein einziges, großes Theater des Absurden erscheint.

Für manche Mitspieler endete die Begegnung mit dem früheren Messdiener fatal. Oskar Lafontaine zumBeispiel trat wenige Tage nach dem Besuch der Volksbühnen-Performance „Berliner Republik“ als Finanzminister zurück. Vielleicht fand er den Volksbühnenschauspieler Bernhard Schütz in der Rolle des Gerhard Schröder einfach zu überzeugend. Oder Frank Schirrmacher: Er engagierte Schlingensief in der Euphorie der Pop-Offensive für ein horrendes Honorar als FAZ-Autor – und prompt trat in Schlingensiefs Stück „Rosebud“ an der Volksbühne ein FAZ-Herausgeber mit gewissen Schirrmacher-Ähnlichkeiten auf, der im Stück unter einer Krankheit namens „Penisverholzung“ leidet. Schlingensief zu engagieren, kann schwer kalkulierbare Folgen haben.

Das lässt für die Zukunft der Bayreuther Festspiele, des Burgtheaters und der Kunstbiennale in Venedig Heiteres ahnen. Bayreuth, Burgtheater, Biennale – edler geht’s nicht. In diesen Tempeln der Hochkultur wird der multifunktionale Hardcore-Künstler demnächst aktiv. In Venedig veranstaltet er einen „Wettbewerb im Pfahlsitzen“ – und gründet die „Church of Fear.“ Zu den Devotionalien dieser Glaubensgemeinschaft werden unter anderem Sars-Masken mit dem Logo der Kirche gehören. Und nachdem er am Burgtheater ein Stück von Elfriede Jelinek uraufgeführt und 2004 in Bayreuth „Parsifal“ inszeniert haben wird, dürfte der Kulturbetrieb reif dafür sein, kollektiv in die Church of Fear einzutreten. Dann wird Christoph Papst, und seine „Atta Atta“-Aktionsgemälde werden so wertvoll (und genauso unverkäuflich) sein wie Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle.

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