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Kultur: Es kann nur besser werden

Ruhe bewahren im Zeitalter der Angst: Gideon Rachman sagt dem Westen, was jetzt zu tun ist.

Ist diese Welt noch zu retten? Bei der Lektüre von Gideon Rachman können auf den ersten Blick daran Zweifel aufkommen. Nach einem Zeitalter der Transformation von 1978 bis 1991 und einer nachfolgenden Phase voller Optimismus glaubt sich der außenpolitische Chefkommentator der „Financial Times“ nun einem „Zeitalter der Angst“ gegenüber. Und diese Epoche scheint es in sich zu haben – folgt man allein den Überschriften, die Rachman zu ihrer Beschreibung gewählt hat. Kaum überraschend ist da von der Krise des Westens zu lesen und einer „Welt der Schwierigkeiten“, von einer „Achse des Autoritarismus“ oder einer „Welt als Russland und China“ und nicht zuletzt von einer brüchigen Welt oder einer „Welt als Pakistan“.

Doch es gibt auch Hoffnung bei Rachman. Beim Stichwort „globale Regierung“ sieht er die „Welt als Europa“, um am Ende seines Buches sogar die „Rettung der Welt“ auszurufen. Denn zu Optimismus haben ihm bereits seine journalistischen Stationen beim BBC World Service und beim „Economist“ verhelfen können. So schildert Rachman, wie er die meiste Zeit seines Berufslebens über eine Welt berichtet habe, in der sich die Dinge kontinuierlich besserten: Er startete in London während des Thatcherbooms Mitte der 80er Jahre. Bei der BBC verfolgte er, wie sich die Demokratie rund um die Welt ausbreitete, von Lateinamerika bis nach Südostasien. Rachman besuchte Moskau zum ersten Mal während der Gorbatschow-Jahre, als sich der lange sowjetische Albtraum bereits dem Ende zuneigte.

In New York beobachtete er Bill Clinton 1992 bei der Annahme der Präsidentschaftsnominierung durch die Demokratische Partei, während ihre Anhänger zu „Don’t Stop Thinking About Tomorrow“ tanzten. Danach verbrachte Rachman fünf Jahre in Asien, wo er miterlebte, wie das rapide Wirtschaftswachstum das Leben der Menschen zwischen Bangkok und Bangalore zum Besseren wandelte. Ab 2001 in Brüssel folgte er der Wiedervereinigung Europas, wo Länder wie Polen und die Tschechische Republik in den Kreis freier und prosperierender Staaten traten. Und Rachman war in London, als Tony Blair im Mai 1997 seinen ersten großen Wahlsieg feierte, mitgerissen von einem Kampagnenlied, das den Geist der damaligen Zeit einzufangen schien: „Things Can Only Get Better“.

Angesichts der heutigen globalen Herausforderungen, die bis Mitte der 90er Jahre entweder noch nicht sichtbar waren oder vom Westen lediglich nicht wahrgenommen wurden, wie Klimawandel, Energiesicherheit, Terrorismus oder der Umgang mit einem selbstbewussteren Russland und der Aufstieg Chinas, empfiehlt Rachman Amerikanern wie Europäern drei grundsätzliche Richtlinien für ihr zukünftiges Handeln. Die erste Maxime lässt er einem britischen Slogan aus dem Zweiten Weltkrieg folgen: „Ruhe bewahren und weitermachen.“ Zwar habe die Welt nach der globalen Wirtschaftskrise ungewöhnlich düster ausgesehen. Aber bereits das vergangene Jahrhundert habe die Widerstandsfähigkeit liberaler Demokratie und freier Marktwirtschaft bewiesen.

Rachmans zweite Richtlinie lautet, nicht zu akzeptieren, dass Rivalitäten zwischen Nationen unvermeidlich die internationalen Beziehungen bestimmen. Zwar seien viele der größten globalen Probleme in einer Nullsummenlogik gefangen. Aber kreative Führung sollte in der Lage sein, neue Wege zu finden, wie die großen Mächte der Welt zusammenarbeiten können – und auf diese Weise nach und nach die Win-win-Logik der vergangenen 30 Jahre wiederherzustellen. Und drittens wird nach Rachmans Prognose der Erfolg der Vereinigten Staaten und Europas bei der Verteidigung ihrer Interessen und Werte in der übrigen Welt entscheidend von ihrer Fähigkeit abhängen, ihre eigenen Ökonomien und Gesellschaften zu stärken.

Der Reiz dieser zweifellos befolgenswerten Empfehlungen liegt darin, dass Rachman sie historisch einbettet. So wendet er selbst ein, dass sein Appell an den Westen, die Ruhe zu bewahren, etwas fade klingen mag, ja vielleicht sogar selbstgefällig, angesichts abnehmender nationaler Macht und zunehmender globaler Gefahren. Aber diejenigen, die von der Idee des unabwendbaren Abstiegs der Vereinigten Staaten oder der westlichen Welt gefangen sind, erinnert Rachman zu Recht daran, dass der Westen bereits früher Phasen des „Deklinismus“ erlebt habe. Denn während der 30er Jahre und dann wieder zu Beginn des Kalten Krieges gab es viele Stimmen im Westen, die glaubten, das Sowjetsystem funktioniere besser als die westliche Demokratie. Und zu Beginn der 80er Jahre waren die Vereinigten Staaten dann vom wirtschaftlichen Aufstieg Japans in den Bann geschlagen. Doch bekanntlich brach die sowjetische Herausforderung in sich zusammen und die Japans verflüchtigte sich. Zwar erlebt der westliche Kapitalismus gegenwärtig die schwerste Krise seit den 30er Jahren. Aber das kapitalistische System hat sich bereits von der Großen Depression erholt. Und nicht nur nach Rachmans Überzeugung wird es auf längere Sicht seine Widerstandskraft erneut beweisen.





– Gideon Rachman:
Nullsummenwelt. Das Ende des Optimismus und die neue globale Ordnung. Edition Weltkiosk im C. W. Leske Verlag, Berlin 2012. 335 Seiten, 19,90 Euro

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