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Kultur: Es kommt ein Schiff gefahren

Bevor die ersten, meist umständlich großen Kameras in die Eisregionen des Südpols getragen wurden, zirkulierten Vorstellungen von der Antarktis, die etwas Wahnhaftes besaßen. So ließ Edgar Allan Poe 1838 seinen Matrosen Pym die Eisbarriere durchstoßen, um auf der anderen Seite in einen rasenden Strudel gezogen zu werden, über der eine kolossale weiße Lichtgestalt schwebte.

Bevor die ersten, meist umständlich großen Kameras in die Eisregionen des Südpols getragen wurden, zirkulierten Vorstellungen von der Antarktis, die etwas Wahnhaftes besaßen. So ließ Edgar Allan Poe 1838 seinen Matrosen Pym die Eisbarriere durchstoßen, um auf der anderen Seite in einen rasenden Strudel gezogen zu werden, über der eine kolossale weiße Lichtgestalt schwebte. Auch Stefan Georges fiktives "Tagebuch des Ernest Shackleton", mit dem er dessen gescheiterte Polbezwingung von 1909 literarisch verarbeitete, spielte auf die von rätselhaften Erscheinungen bevölkerte Magie des Kontinents an. 1914 reiste Sir Ernest Shackleton erneut in die Antarktis. Da der Pol zwei Jahre zuvor von Roald Amundsen und seinem Kontrahenten Robert F. Scott erreicht worden war, war sein altes Ziel nicht mehr interessant. Deshalb wollte er den siebten Kontinent durchqueren. Leider bewahrheitete sich aber, was der Dichter Poe für die südpolaren Gewässer erfunden hatte: Im Weddell-Meer folgt die Strömung einer zähen Kreisbewegung, die unermessliche Eismassen ineinanderschiebt. Shackletons Expeditionsschiff "Endurance" fror darin fest, bevor es die Küste erreichen konnte, und rotierte auf einer 9-monatigen Drift durchs Packeis. Als das Schiff schließlich zerdrückt wurde und sank, kämpften sich die 27 Männer auf einer abenteuerlichen Irrfahrt wieder in die Zivilisation zurück. Zu den Geretteten zählte auch der australische Expeditionsfotograf Frank Hurley. Seine aufwendigen Bilder des dem Untergang geweihten, in einer zerklüfteten Eislandschaft gestrandeten Schiffes haben den Mythos vom Südpol entzaubert und gleichzeitig dessen bizarre Schönheit eingefangen. Erstmals sind nun in einem opulenten Bildband sämtliche Fotos aus den Beständen der National Geographic Society veröffentlicht, die Hurley in zwei verlöteten Metallkisten aus dem Wrack holte. Sie sind nicht nur Zeugnis einer spektakulären Rettung - Shackleton, der einen Großteil seiner Mannschaft auf Elephant Island zurücklassen musste, schlug sich in einer offenen Segeljolle bis zur Walfangstation von South Georgia durch und konnte seine Männer nach mehrmals misslungenen Vorstößen von der Felseninsel bergen -, vielmehr geben sie einen Einblick in die akribische Arbeitsweise des Fotografen, der sich von keinerlei Widrigkeit abschrecken ließ. Mal wuchtete er seine Plattenkamera auf eine Rah, mal ins "Krähennest" oder über knirschende Eiskämme. Zu seinen berühmtesten Bildern zählt das vom Frost überzuckerte "Geisterschiff", das er nachts mit Blitzlichtern illuminierte. Nach der Rückkehr dienten die ursprünglich gegen Shackletons Willen mitgeschleppten Fotos und Filme der Begleichung eines enormen Schuldenberges.

Hurley selbst trat 1917 als Kriegsberichterstatter dem australischen Armeecorps bei. Doch erregten die von ihm montierten Collagen, die das Gesicht des Krieges seiner Ansicht nach umso realistischer erscheinen ließen, bei seinen Vorgesetzten immer wieder Missfallen. Bis heute werden seine Australien-Reportagen, seine Reiseberichte aus Neuguinea und von zahlreichen Antarktis-Expeditionen wegen ihrer technischen Raffinesse sehr geschätzt.

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