zum Hauptinhalt

Essay von Olafur Eliasson und Minik Rosing zum Klimawandel: Die hausgemachte Sintflut

Der Künstler Olafur Eliasson will mit seiner aufwändigen Eis-Performance die Kraft der Kunst entfesseln - und erklärt, warum das auch dringend nötig ist.

Foto von Eliasson, Minik und Eisblock
Künstler, Wissenschaftler, Werk: Olafur Eliasson und Minik Rosing begutachten einen der zwölf Eisblöcke auf dem Kopenhagener Rathausplatz.

© Anders Sune Berg

Zwölf Blöcke für ein Umdenken: Der Berliner Künstler Olafur Eliasson weist mit einer ungewöhnlichen Kunstaktion auf die Gefahren des Klimawandels hin. Gemeinsam mit Minik Rosing, Professor für Geologie am naturhistorischen Museum der Universität Kopenhagen, stellt er ein Dutzend Eisbrocken aus. Die schmelzende Installation ist noch bis Mittwoch, 29.10., auf dem Rathausplatz der dänischen Hauptstadt zu sehen.

Das Anliegen dahinter verdeutlichen Künstler und Wissenschaftler in einem gemeinsam verfassten Essay:

Das Eis, die Kunst und der Weg des Menschen auf der Welt

Auf dem tiefsten Grund des Bewusstseins der Menschheit liegt die gemeinsame Vorstellung von einer anderen Zeit. Einer Zeit, in der wir noch nicht über die Fähigkeiten verfügten, den Gang der Welt zu beeinflussen. Folglich waren wir frei von Schuld und bezeichneten diesen Zustand als Paradies. Man kann diese Erzählung der Menschheitsgeschichte auch als persönliche Entwicklung deuten: Von der Kindheit, frei von Verantwortung und deshalb auch frei von Schuld, zum Leben als Erwachsener, in Einsicht und deshalb auch mit Verantwortung. Es lässt sich folgende Behauptung wagen: Die Kindheit der Menschheit ist die kollektive Erinnerung an reale historische Ereignisse, die von so gewaltigem, unfassbarem Ausmaß sind, dass wir in Mythologie und Religionen noch Jahrtausende nach ihrem Eintreten mit ihnen kämpfen. Diese Ereignisse, die so unauslöschlich in unsere kollektive Erinnerung eingemeißelt wurden, handeln vom Eis und davon, wie die Entwicklung des Eises das Klima und damit unsere gesamte Zivilisation beeinflusst hat.

Eis ist eine wunderbare, eigentümliche Materie, die sich anders verhält als fast alle anderen uns bekannten festen Substanzen. Wasser dehnt sich aus, wenn es zu Eis gefriert, während die meisten anderen festen Substanzen schrumpfen, wenn sie erstarren. Eis schmilzt, wenn es Druck ausgesetzt wird, wohingegen andere Feststoffe schmelzen, wenn der Druck abnimmt. Wasser absorbiert fast die gesamte Energie, die das Licht der Sonne an die Ozeane abgibt, während Eis fast die gesamte Energie ins All zurücksendet. Die Erde befindet sich in exakt dem Abstand zur Sonne, der gewährleistet, dass das Sonnenlicht den größten Teil des Wassers flüssig erhält, wobei die Temperatur auf der Erde dicht genug am Gefrierpunkt liegt, dass sich an den Polen und auf hohen Bergen Eis bildet. Um Eis zu Wasser zu schmelzen, sind große Energiemengen nötig. Andererseits werden beim Gefrieren von Wasser große Energiemengen freigesetzt. Der Wechsel des Wassers zwischen diesen beiden Aggregatzuständen trägt deshalb dazu bei, die Temperaturschwankungen zwischen Sommer und Winter und zwischen Tag und Nacht zu verringern und das Leben zwischen den Polen erträglich zu machen.

Eliasson: Eis ist nicht gleich Eis

Das Eis, aus dem die großen Eismassen der Antarktis und Grönlands bestehen, ist nicht auf dieselbe Art und Weise zustande gekommen, wie das Eis auf einem See oder die Eiswürfel in einem Gin Tonic. Es entstand durch das Zusammenpressen von Hunderttausenden von Jahren Schneefall, der durch sein Eigengewicht zu Gletschereis komprimiert wurde. Im Eis erkennen wir nach wie vor, Schicht für Schicht, den Niederschlag jeweils eines Jahres und können kleine Luftblasen finden – jede einzelne von ihnen eine versiegelte Probe der Atmosphäre zu jener Zeit, in der dieser Schnee fiel. So wie die Jahresringe das Alter eines Baumes angeben, besitzt das Eis eine datierte Erinnerung an die Klimaveränderungen und Zusammensetzung der Atmosphäre im Verlauf von Hunderttausenden von Jahren. Wir können die Temperaturumschwünge durch Eiszeiten und Zwischeneiszeiten verfolgen. Wir können messen, wie stark und vorherrschend die Winde waren und woher sie kamen, und wir erhalten Einblick in die Bewegungen der Meeresströme im Laufe der gesamten Menschheitsgeschichte auf dieser Erde.

Seit der Kreidezeit hat sich das Klima von warm, feucht und nahezu ohne jahreszeitliche Unterschiede zu einem zunehmend kälteren, trockeneren Klima gewandelt. Allmählich bildete sich auf dem antarktischen Hochland eine Eiskappe und die Erde glitt langsam aber sicher in einen anderen Zustand hinüber – die Eiszeiten kamen in Sicht. Die Ökosysteme der Erde reagierten auf die schleichenden Milieuveränderungen. Neue Arten entstanden, andere gingen zugrunde. Während Steppen und Savannen Wälder ablösten, entstanden neue Arten, die das künftige Aussehen der Erde bestimmen sollten. In großem Umfang verbreiteten sich Gräser und entwickelten sich zu vielen neuen Arten, einige von ihnen Urformen späterer Getreidesorten. Gräser bildeten die Grundlage für die Entwicklung aller großen, grasfressenden Tiere und später für Ackerbau und Viehzucht. Während gleichzeitig die Eiszeiten einsetzten, entstand auf den afrikanischen Savannen unsere Gattung, die Gattung Homo. Die Entstehung des Menschen selbst ist also eine Folge der Existenz des Eises und seiner Bewegungen auf der Erde.

Das Klimaarchiv des Eises zeigt, dass sich die Durchschnittstemperatur der Erde im Verlauf der letzten 500 000 Jahre, in denen der Mensch als Art entstand, um acht Grad veränderte. Gegen Ende der letzten Eiszeit, vor 10 000 Jahren, geriet das Klima in ein ungewöhnlich stabiles Gefüge. Es wurde wärmer – ungefähr so wie heute, vor allem aber wurde es vorhersagbar. Seitdem schwankte die Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad. Dieses stabile Klima ermöglichte den Menschen, die Zukunft einzuschätzen. Wir konnten unsere Intelligenz zum Planen und damit zum optimalen Nutzen der Naturschätze einsetzen. Der Mensch erfand den Ackerbau, und auf dem flachen, unberührten Land an den Küsten etablierten sich die ersten Zivilisationen. Unsere zivilisierte, stabile Klimaperiode hatte begonnen.

Der Wasserstand der Weltmeere lag zu jener Zeit um 120 m unterhalb des heutigen, doch in diesem neuen, milden Klima schmolzen die Eiskappen rasch. Das Meer stieg an und verschlang die frühesten Zivilisationen, die erleben mussten, wie ihre Welt ertrank. Die tiefsten Schichten der kollektiven Menschheitserinnerung handeln von jener Zeit, in der die ersten zivilisierten Welten untergingen und neue errichtet werden mussten. Alle großen Zivilisationen kennen Mythen von einer großen Sintflut, die die Menschheit verschlang, und alle versuchen seitdem, dieses unfassbare Ereignis zu verstehen.

Wir stehen vor einer hausgemachten Sinflut

Foto von Eliasson, Minik und Eisblock
Künstler, Wissenschaftler, Werk: Olafur Eliasson und Minik Rosing begutachten einen der zwölf Eisblöcke auf dem Kopenhagener Rathausplatz.

© Anders Sune Berg

In jedem Sommer schmelzen riesige Mengen der Oberfläche des Grönländischen Inlandeises und Gletscher schicken Millionen Tonnen von Eisbergen ins Meer, wo sie langsam schmelzen. Beides bereichert die Weltmeere um große Wassermengen. Gleichzeitig verdichtet sich der Wasserdampf aus den Weltmeeren zu Schnee, der unter anderem auf das Grönländische Inlandeis fällt. Jahrtausendelang existierte ein Gleichgewicht zwischen dem fallenden Schnee und der Eismenge, die ins Meer floss oder am Eisrand schmolz. Die Eismenge im Inneren Grönlands war also stabil. Seit dem Jahr 2000 hat indessen die Produktion von Eisbergen und Schmelzwasser stark zugenommen. Das Inlandeis verliert nun jährlich Hunderte von Kubikmetern und trägt damit markant zu einem Anstieg der Weltmeere von derzeit 3 Millimetern bei.

Wir stehen heute vor einer hausgemachten Sintflut – diese mag im Hinblick auf den Meeresspiegelanstieg weniger dramatisch erscheinen, ist hinsichtlich der Anzahl betroffener Menschen aber tatsächlich ungleich dramatischer. Dabei ist uns dieses Mal sogar die Ursache bekannt und wir verstehen den Mechanismus. Durch unser eigenes Handeln stehen wir im Begriff, die Eiszeiten und jene stabile Klimaperiode zu beenden, die die Voraussetzung für das Entstehen von Zivilisationen war und noch immer eine Bedingung für ihr Funktionieren ist.

Wissenschaft und Technik haben uns ermöglicht, das Klima der Erde aus dem Gleichgewicht zu bringen. Weil wir nun aber die Mechanismen verstehen, besitzen wir auch die Macht, dies zu verhindern – vorausgesetzt wir versinken nicht in Untätigkeit. Wenn wir schon über dieses großartige Wissen verfügen, wie kann es dann sein, dass wir nicht zu handeln im Stande sind?

Als Adam jenen berühmten Biss in den Apfel vom Baum der Erkenntnis unternahm, verlor er seine Unschuld. Diese Verkettung von Einsicht und Schuld durchzieht unser gesamtes Verständnis von Verantwortung, Sünde und Strafe. Wir sind uns einig, dass fahrlässige Handlungen nicht ebenso hart bestraft werden sollten wie bewusste, auch wenn der Schaden, den sie nach sich ziehen, exakt derselbe ist. Andererseits besagt unsere Moral, dass wir verpflichtet sind, Verantwortung zu übernehmen. Strafe fällt härter aus, wenn wir die Auswirkungen unseres Handelns erkannt haben müssten, auch wenn wir im Augenblick der Tat fahrlässig waren.

Minik und Eliasson beklagen mangelnde Einsicht

Eines der größten Probleme bei der Eindämmung des Ausmaßes der Klimaveränderungen – die bereits sichtbar und umfassend sind – ist die weit verbreitete mangelnde Bereitschaft anzuerkennen, dass die Wissenschaft helfen kann, den Zusammenhang zwischen unserem Verhalten und dem künftigen Schicksal der Erde zu verstehen. Klimaskeptiker wollen nicht unbedingt anerkennen, dass menschliche Aktivitäten globale Wirkung haben. Sie leugnen vielmehr, dass Kenntnisse hierzu vorliegen und behaupten weiter, die Wissenschaft könne einen Zusammenhang zwischen dem Verbrauch fossiler Energiequellen und dem Erdklima nicht belegen. Fehlt uns die Einsicht, sind wir auch frei von Schuld. Sind wir unwissend, sind wir keine Sünder. Noch immer träumen wir uns zurück in den Stand paradiesischer Ignoranz.

Die Schlange im Paradies war der Drang des Menschen, sich und seine Rolle in der Welt zu verstehen. Wir wurden versucht, um zu Menschen zu werden und nicht zu imbezilen Paradies-Bewohnern. Im Drang zu verstehen haben wir uns selbst gefunden. Jedes Kind will erwachsen werden, und uns wird klar, dass unsere wahre Rolle in der Welt darin besteht, die Welt zu verstehen.

Unser Wissen über Klima, Energie und Umwelt ist umfangreich und so detailliert, dass uns bewusst ist: Wir müssen unser Verhalten ändern. Wir wissen genug darüber, wie sich unser Verhalten ändern muss, es gibt keine Entschuldigung, länger zu warten. Doch wir können die Gesellschaft nicht mit sofortiger Wirkung verändern. Umso wichtiger ist es, dass dieser Prozess nun in Gang kommt.

Dennoch sollten wir Verständnis für die Versäumnisse der Vergangenheit haben, denn Schuld führt nicht zu Initiative. Die moderne, energieintensive Gesellschaft, die auf fossilen Brennstoffen fußt, wurde mit großer Kreativität, mit Mut und Einsatz errichtet. Wenn wir ihr die Schuld zuweisen, ist nicht viel gewonnen. Vielmehr müssen wir die gleichen Qualitäten, die zur Klimaproblematik geführt haben, aktivieren, um sie zu beseitigen und für die Zukunft neue, tragfähige Energiequellen zu entwickeln.

Allerdings wird Wissen allein nicht reichen: So wie Schuld keine Initiativen in Gang setzt, handeln Menschen nicht nur faktenbezogen. Zum Handeln kommen wir durch emotionale und sinnliche Erlebnisse. Wissen kann uns sagen, wie wir unseren Zielen näherkommen – die Ziele selbst und der Impuls zu handeln jedoch wurzeln in unseren Gefühlen.

Sicher haben wir alle schon erlebt, wie Musik, ein gutes Buch oder ein Kunstwerk uns berührt. Es wird zum Impuls und lässt uns verändert zurück. Bei diesem Erlebnis geht es nicht darum, dass wir neues Wissen gewinnen, sondern vielmehr darum, dass wir etwas entdecken, das bereits in uns existiert. Etwas, mit dem wir plötzlich in Verbindung treten, mit dem wir uns identifizieren und das wir nun für uns selbst formulieren können. Das ist der Grund, warum das Betrachten eines Gemäldes befreiend sein kann. Deshalb haben wir manchmal das Gefühl, es sei das Buch, das uns liest, deshalb verlassen wir bisweilen das Theater mit neuen Verbindungen zwischen Kopf und Herz. Die Kunst der Kunst besteht darin, dass sie Gefühle explizit macht und diffusen Gefühlen Gestalt gibt – zu denen wir uns dann verhalten können. Kunst erschließt uns das, wofür wir Worte haben, aber auch das, was wir nicht formulieren können. Sie lässt uns ahnen, wie sich ein Gedanke oder eine Idee anfühlen. Wissen, das wir durch persönliche Erfahrungen erworben haben, lenkt unsere Handlungen, global wie lokal. Kunst ist ein vitaler, integraler Bestandteil der Gesellschaft, und es gibt eine lange Tradition, mit Hilfe von Kunst Gedanken, Gefühle und Ideen sichtbar zu machen, die für die Gesellschaft von Bedeutung sind und nicht bei der Empfindung stehen bleiben.

Kann Kunst etwas verändern?

Eine der großen Herausforderungen ist heute, dass sich viele Menschen von den großen Problemen der Welt distanzieren oder von ihnen erst gar nicht erreicht werden. Sie verstehen sich nicht als Akteure der globalen Gesellschaft. Klimaveränderungen, Armut, Kriege und Krankheiten sind Herausforderungen, die um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren. Doch die allgegenwärtige Kommunikationslawine und zielgerichtete Kampagnen haben die meisten von uns überzeugt, dass wir etwas unternehmen müssen. Allerdings gibt es eine tiefe Kluft zwischen dem, was wir wissen, dem was wir fühlen, und darum auch dem, was wir tun. Wie kann aus unserer Einsicht tatsächliches Handeln und eine Veränderung unseres Verhaltens werden? Natürlich sind Faktenwissen und Daten, die es unterstützen, notwendig. Doch Handeln entsteht hierdurch noch nicht. Erst wenn unser Wissen körperlich spürbar wird, entsteht Verantwortung und Engagement.

Kultur ist ein starker Bündnispartner im Kampf für Veränderung. Die kulturelle Praxis hat fast immer mit der Umsetzung von Wissen in Handeln zu tun. Im Gegensatz zur kommerziellen Kommunikation, die ihr Publikum als Konsumenten von Produkten und Dienstleistungen anspricht, bietet der kulturelle Raum mehr Freiraum. Er lädt Menschen als Publikum und zugleich als Akteure ein, und dies auf einer gemeinsamen Vertrauensbasis. Der Kunst geht es vor allem um das Zusammenspiel von individueller und kollektiver Erfahrung. Ein gutes Kunstwerk schafft eine Gemeinschaft, in der Meinungsverschiedenheiten willkommene Voraussetzung sind. Ganz gleich, ob wir uns über Inhalt oder Ausdrucksmittel eines Kunstwerkes einig sind, wir erleben es gemeinsam. Ein Kunstwerk kann Zusammengehörigkeit stiften, ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir aufeinander angewiesen sind. Es kann uns dazu bringen, gemeinsam zu handeln und bewusst zu aktiven Teilhabern eines globalen WIR zu werden, ohne dabei unser persönliches emotionales Urteilsvermögen aufgeben zu müssen.

Kunst ist damit ein Schlüssel und die Wissenschaft ein Instrument, um den Menschen eine wunderbare Zukunft auf dieser Erde zu sichern.

Übersetzt von Jörg Scherzer

Das Eis, die Kunst und der Weg des Menschen auf der Welt erschien im dänischen Original am 26.10.2014 in Politiken.

Olafur Eliasson, Minik Rosing

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false