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Kultur: Essen, was auf den Tisch kommt

Ein

von Kai Müller

Heute treff ich einen Herrn, der hat mich zum fressen gern/Weiche Teile und auch harte stehen auf der Speisekarte“, gurgelt und krächzt Till Lindemann, Sänger von Rammstein, in deren neuem Video. „Mein Teil“ heißt die brachialfuriose Single, die dem Album der berüchtigten ostdeutschen Metal-Rocker vorausgeht und sofort für einen Skandal sorgt. Selbst RammsteinFans fühlen sich nämlich abgestoßen von dem Song, der auf den Fall des „Kannibalen von Rotenburg“ anspielt und detailliert den Blut- und Machtrausch einer Menschenschlachtung nachempfindet. „Die stumpfe Klinge gut und recht“, heißt es da, „ich blute stark und mir ist schlecht/ Muss ich auch mit Ohnmacht kämpfen, ich esse weiter unter Krämpfen.“

Rammstein sind nicht die Ersten, die sich mit den Mitteln des Popsongs einem der abscheulichsten und rätselhaftesten Sexualverbrechen zuwenden. Schon die Rolling Stones verarbeiteten in „Too Much Blood“ die Geschichte des Mörders Issei Sagawa, eines japanischen Studenten, der in Paris eine Kommilitonin aufaß. Auch der Disco-Hit „Maneater“ (Daryl Hall/John Oates) zeichnet das zweideutige Porträt einer Männer vernaschenden Femme fatale, um offensiv mit Kannibalismus-Fantasien zu jonglieren.

Bei Rammstein, die immer wieder Sinn für Geschmacklosigkeiten zeigen („Bück Dich“, „Rein Raus“), wird das Thema zu einer homoerotischen Gewaltorgie. „Ob man seinen Freund liebt und isst“, erläutert Keyborder Flake, „ist für mich was anderes, als ein Schwein zu essen, das nicht gefragt wird. Das ist viel schlimmer.“ In dem düsteren, beeindruckend hypnotischen Videoclip geht es um Selbsterniedrigung, sexuelle Ekstase und Vereinigungssehnsucht. Da waten Männerbeine durch zähflüssigen Schlamm, da winden sich bleich-knöcherne Elendsgestalten unter epileptischen Krämpfen, und ein Engel, dem die Flügel ausgerissen werden, ist beim Oralsex zu sehen. Nicht eben appetitlich, gewiss. Zudem furchtbar pathetisch, wie Rammstein ja überhaupt gerne die Grusel- und Schockdramatik der Grimmschen Märchenwelt bemühen, um ihre musikalischen Schmerzgebilde zu überhöhen. Das geht bis in die Reimform hinein, die plump auf historische Vorbilder wie „Suppenkaspar“ oder „Struwwelpeter“ anspielt. Das ist auch unfreiwillig komisch in einer Zeit, da Autoritäten sich überall in der Defensive befinden.

In altdeutschen Kindererzählungen wird viel gemordet und verspeist. Vor allem solche Kinder leben nicht lange, die sich einen freien, störrischen Willen leisten. Till Lindemann und seine Bandkollegen sind späte Wiedergänger dieser schwarzen Pädagogik. Sie bejammern eine verlorene Geborgenheit und kämpfen gegen Schattenmächte, als wären sie Exorzisten. Dabei sind sie nichts weiter als rabiate Vegetarier.

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