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Eugen Ruge

© dpa

Eugen Ruges neuer Roman: Die Welt als großes schwarzes Schnurren

Mit seinem Debüt "In Zeiten des abnehmenden Lichts" landete Eugen Ruge 2011 einen Riesenerfolg. Das trieb die Erwartungen an sein zweites Buch mächtig in die Höhe. Mit "Cabo de Gata“ legt er nun das Porträt eines scheiternden Schriftstellers vor.

Es braucht nicht viel, um sich aus einem alten Leben zu verabschieden, auszusteigen und womöglich ein neues zu beginnen. Zum Beispiel, wie in Eugen Ruges neuem Roman „Cabo de Gata“, die albern aussehenden Schuhe eines Mannes, der in einem Prenzlauer-Berg-Café sitzt und die ganze Zeit mit einem Bein wippt, „und die Troddeln seines lächerlichen, kaum zum Gehen geeigneten Schuhs umsprangen einander wie junge Dackel“.

Dies ist der Moment, der Ruges ebenfalls im Café hockenden Icherzähler auf den Gedanken bringt, „diese Stadt (dieses Land, dieses Leben) bis auf weiteres zu verlassen“. Er löst seine Wohnung auf, kündigt nicht nur Strom und Gas, sondern auch die Krankenversicherung, kauft sich eine Reiseausrüstung, verabschiedet sich von seinem Vater und seiner Tochter und setzt sich an einem Neujahrstag in den späten neunziger Jahren in einen Zug nach Barcelona.

Was er ausgerechnet da will, in einer Stadt, die sich zumindest als Aussteiger-Ort nicht gerade gut eignet? Er weiß es nicht so genau. Er weiß aber, dass es den idealen Fluchtpunkt sowieso nicht gibt – und dass er dabei ist, alles, was ihm widerfährt, auf seine „Stofftauglichkeit“ zu überprüfen, „dass ich mein Leben, noch während ich es erlebte, probehalber zu beschreiben begann“.

Eugen Ruge hat mit „Cabo de Gata“ einen Roman über einen um die vierzig Jahre alten Mann geschrieben, der nicht nur sein altes, zuletzt von einer Scheidung und beruflicher Orientierungslosigkeit bestimmtes Leben hinter sich lassen will, sondern der dann auch einen Roman schreiben möchte, vergeblich allerdings. Dass diese Geschichte Eugen Ruges eigene sein könnte, darauf deutet die eine oder andere Episode in diesem kleinen Buch hin: zum Beispiel das Porträt des Erzählervaters, der an den DDR-Historiker Wolfgang Ruge erinnert, den Vater von Eugen Ruge. Insbesondere aber der Hinweis, dass er vor allem nachmittags immer mit der „Verwaltung seiner Existenz“ beschäftigt sei: „einer Tätigkeit übrigens, die neuerdings, nach dem sogenannten Erfolg, geradezu monströse Ausmaße angenommen hat“.

Im Fall des Schriftstellers Eugen Ruge bezieht sich dieser „sogenannte Erfolg“ auf dessen DDR-Familienroman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, der 2011 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, danach fast ein Jahr auf den Bestsellerlisten stand und sich inzwischen fast eine halbe Million Mal verkauft hat. Der Erfolg kam durchaus überraschend, zumal für den nicht mehr ganz jungen, 1954 geborenen Autor, der bis dato vor allem für das Theater und den Rundfunk geschrieben hatte; und dieser Erfolg wollte nicht nur organisatorisch bewältigt werden, sondern warf für Eugen Ruge schließlich auch das Problem auf, was denn nun danach kommen solle?

Eine Geschichte erfinden, um zu erzählen, wie es wirklich war

Das nächste Buch ist immer das schwerste, könnte man eine alte Fußballtrainerweisheit für Schriftsteller abwandeln. Aber noch schwerer ist ein nächstes Buch zu schreiben, wenn es auf ein so unerwartet zu Bestsellerehren gekommenes wie „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ folgen soll. Da kreuzen sich womöglich eigene Erwartungen mit den plötzlich gestiegenen des Verlags, des Publikums und der Kritik. Zumal Eugen Ruges Debüt eine Art Lebensroman ist, den ein Schriftsteller gar nicht alle Tage schreiben kann. „ Cabo de Gata“ wirkt im Vergleich dazu wie ein „Sehr kleiner Lebensausschnitt“-Roman, geschrieben zwischen November 2011 und August 2012, wie es am Ende heißt, begonnen also gleich nach der Buchpreisverleihung, und von Ruge, wie man von Verlagsseite hören konnte, unverlangt vorgelegt.

Tatsächlich ist es bei der Lektüre zunächst nicht leicht, die (Erfolgs-)Vorgeschichte Ruges außer Acht zu lassen. Man fragt sich: Was erzählt der Mann denn jetzt Unspektakuläres? Ist das nicht ein bisschen läppisch, ein Seitenstrang, der es nicht in den Familienroman geschafft hat? Oder will Ruge hier alle Erwartungen überbetont unterspielen?

Das Seltsame ist, dass man trotzdem dranbleibt. Man möchte dem Erzähler unbedingt in den südostandalusischen Ort Cabo de Gata folgen. In einen Ort am Ende der Welt, wenn man es denn will, der in jedem Fall geeigneter erscheint als Barcelona, um zu sich zu kommen oder mit einem Roman zu beginnen. Das Fesselnde an Ruges eigenem Roman ist seine Aufrichtigkeit. Dieser hat fast den Charakter eines Bekenntnisses, und zunehmend schleichen sich auch meditative Züge ein. Wie ein Mantra kommt einem irgendwann das andauernde, viele Sätze beginnende „Ich erinnere mich ....“ vor, das Beharren auf der reinen, nicht nachträglich bearbeiteten, womöglich poetisch überformten Erinnerung. Das mag ein wenig schlicht anmuten und auch kokett, so wie der dem Roman von Ruge vorangestellte Satz: „Diese Geschichte habe ich erfunden, um zu erzählen, wie es war.“

Die Geschichte funktioniert aber in ihrem überdeutlichen Realismus, nicht zuletzt in ihrem betonten Kontrast zu Henry Millers Griechenlandreisebuch „Der Koloss von Maroussi“. Dieses hat der Erzähler von einem Freund mitbekommen und liest es zunehmend verständnisloser, „ein einzige Abfolge von wunderbaren Geschehnissen“. Aber auch die Schilderung der alles andere als wunderbaren, immer gleichen, sehr monoton verlaufenden Tage des Erzählers in Cabo de Gata könnten nicht nachdrücklicher sein; die immer gleichen Kontakte, die er mit den Einheimischen hat, die ewige Lektüre einer einzigen „El Pais“Ausgabe, die schon bald Henry Miller ersetzt. Sein Zeiterleben verändert sich, und gestört wird es nur noch durch die Begegnungen mit einem Engländer und einem Amerikaner.

Als der Erzähler schließlich eine Art Beziehung mit einer hübschen, rot getigerten Katze eingeht und diese ihn regelmäßig in seinem Pensionszimmer besuchen kommt, ist es um ihn geschehen: „Und eines Abends, als das Licht aus ist, als die Katze schnurrt, als mein Kopf, als der Raum, als die Welt nur noch ein großes schwarzes Schnurren ist, habe ich das Gefühl, dass die Zeit – endlich – stillsteht.“

Die ein Drittel des Romans einnehmende Episode mit der Katze wirkt zum Ende fast ein wenig zu dick aufgetragen, denn die Katze wird auch noch schwanger und Unvorhergesehenes passiert. Doch das Kommen und Gehen im Leben symbolisiert sie sehr schön, auch die Vergeblichkeit der Schreibbemühungen des Icherzählers, die ja erst viele Jahre später Früchte tragen sollten. „Cabo de Gata“ ist dabei völlig unsentimental, ein kleines Porträt des Erfolgsschriftstellers als Midlife-Crisis-geplagter, vom Schreiben besessener Scheiterer. Ein besseres Buch hätte Eugen Ruge nach „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ gar nicht schreiben können.

Eugen Ruge: Cabo de Gata. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 203 S., 19,95 €.

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