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Euroislam: Gottes Zeichen

Dogmen statt Denken: Wie Tariq Ramadan von einem Sieg des Euroislam träumt.

Der Austausch religiöser Ideen zwischen verschiedenen Kulturen hat Tradition. Chroniken belegen, dass römische Kaiser im ersten und zweiten Jahrhundert bereit waren, in ihre polytheistischen Religionen auch Jesus zu übernehmen. Nur die Christen waren damit nicht einverstanden. Nun hat Anfang des Jahres der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, im Interesse des sozialen Zusammenhalts empfohlen, Elemente der islamischen Scharia in die britische Gesetzgebung zu übernehmen. Die Muslime waren begeistert. Unter anderem schlug Williams vor, dass Ehe- und Geldstreitigkeiten auch vor einem islamischen Gericht ausgetragen werden dürften.

Im Lager der rigoristischen Muslime um Tariq Ramadan, den Gründer und Lobbyisten des Euroislam, spricht man vom ersten Schritt auf dem Weg zu einer gesamtislamischen Integration im vereinigten Europa. Geleitet vom eurokommunistischen Konzept des langjährigen Generalsekretärs der italienischen KP, Enrico Berlinguer, schuf der 1962 in Genf geborene Ramadan ein in sich geschlossenes Projekt. Zentrales Anliegen von Ramadan ist die Durchsetzung des Islam im Westen in der Absicht, den Westen zu bekehren. Charisma, Populismus sowie ein strenger Dogmatismus gehen dabei Hand in Hand mit der Kosmogonie des Islamisten Ramadan.

Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban kennt alle Artikel und Bücher von und über Ramadan, konzentriert sich in seiner Kritik auf die ausgereifte Fassung von Ramadans Ideen. Er bevorzugt dessen letztes Buch „Western Muslims and the Future of Islam“ (Oxford University Press). „Ich konzentriere mich“, so schreibt Ghadban in der Einleitung seines Buchs „Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas“ (Schiler Verlag, Berlin), „im Wesentlichen auf seine Methode, weil ich meine, dass eine richtige Einschätzung der Grundlagen seines Denkens, die er ,islamisches Universum von Referenzen‘ nennt, besser zum Verständnis seiner Positionen beiträgt und ihre scheinbare Ambiguität ausräumen kann.“

Ramadans Referenzen sind einseitig und reflektieren keineswegs das breite pluralistische Spektrum der islamischen Geistesgeschichte. Ihre Traditionen reißt er vielmehr aus dem Kontext und macht sie zu entleerten „Orakeln“, die Gott allen Menschen zu allen Zeiten als ewigen Kompass zur Rechtsfindung (huda) mitgab. Eine rigorose Auslegung der islamischen Schriften von Gelehrten wie al Ghazzali (gest.1111), Ibn Taimiya oder dem geistigen Gründer des heutigen Saudi-Arabien, Abdel Wahab, bildet das geistig-religiöse Rückgrat von Ramadans Euroislam. Das ist nicht der Islam, wie ihn einst die Väter der „Nahda-Bewegung“ (die arabische Erhebung) – Muhamad Abdou, Gamal Eddin al Afghani und andere – in der Zeit von 1870 bis 1952 erneuern wollten. M. Abdou zum Beispiel, der bis heute bei vielen Islamisten als der entscheidende Pionier des islamischen Fundamentalismus gilt, erstrebte ein Erneuerungsprojekt in Harmonie mit einem Europa der Vernunft und des Fortschritts: „Ich gewinne immer neue Zuversicht, wenn ich Paris besuche“, war der Schlüsselsatz, den er vor jedem Europatrip wiederholte. „Gott, der Schöpfer“, schreibt Ramadan in „Western Islam“, „hat den Menschen als Sachwalter erschaffen, mit dem Auftrag, die Welt nach seinem Gesetz zu verwalten. Er hat ihn so programmiert, dass der Mensch von Natur aus (fitra) den Weg zu ihm durch Hingabe (islam) zu Gott finden kann.“

Dieses Credo, die Gewissheit eines quasi ferngelenkten Menschen in ewiger Durchführung des Auftrags Gottes, ist nach Ramadans Verständnis die mechanische Durchsetzung der islamischen Scharia. In einem solchen Verständnis von Glauben ist kein Raum für freies Denken, wie Ghadban zu Recht bemerkt. In einem solchen Rahmen verliert auch die Philosophie, die eine Harmonisierung von Denken und Dogma anstrebt, ihre Existenzgrundlage. Auch die schönen Künste stehen nicht weit oben auf der Werteskala der islamischen Katecheten.

Schließlich wird noch die Theologie selbst abgeschafft. „Es gibt keine islamische Theologie!“, verkündet Ramadan, weil im Zentrum des islamischen Universums die absolute Einheit Gottes stehe. Drei Säulen sollen diese Aussage bestätigen: Gottes unangetastete, unergründliche, absolute Einheit, die Unmöglichkeit seiner Darstellung und schließlich die Offenbarung des Koran. Es existiert nicht wie in der hellenistischen, später jüdischen und dann christlichen Kosmogonie ein Dualismus zwischen Körper und Seele. Im Islam ist die Einheit Gottes ewige Gewissheit, durch das im Propheten verbalisierte Wort Gottes den Menschen zugänglich gemacht. „Der Mensch muss seine Vernunft und Intelligenz benutzen, um die Zeichen Gottes zu erkennen und entsprechend zu handeln.“ Philosophie und Theologie würden die Offenbarungen und das Dogma (scharia) nur schwächen. In dieser Matrix gibt es keinen Raum für ethische Zweifel oder Rebellion.

Wie der Euroislam der pluralistischen europäischen Gesellschaften aussehen könnte, davon hat Ramadan keine klare Vorstellung. Soll er sich wie Parteien entwickeln, deren demokratisch-pluralistische Programme auf christlicher Tradition beruhen – wie etwa die CDU in Deutschland oder die Democrazia Christiana in Italien? Oder soll er eine monolithische, auf rigiden göttlichen Prinzipien beruhende Religion werden? Ramadan lässt wenig Konkretes verlauten. Er will sich zum Beispiel dafür einsetzen, dass die Repräsentanz der Muslime in Europa verstärkt wird, was nichts anderes heißt, als dass noch größere Moscheen und islamische Einrichtungen gebaut werden.

Während eines Rundfunkgesprächs mit dem heutigen französischen Präsidenten Sarkozy – damals noch Innenminister – fragte ihn dieser, wie er zur Steinigung und zu anderen Grausamkeiten des Strafkataloges der Scharia stehe. Ramadan schlug dem Minister vor, ein „Moratorium“ darüber zu verhängen. Die Übernahme von Versatzstücken aus dem islamischen Gesetz in das britische Rechtssystem, wie Erzbischof Williams vorschlägt, gefällt Ramadan als kleine Schönheitsoperation, die das Herz der Muslime erfreut. Als Ausdruck eines religiösen Erlebnisses kann der Islam schwerlich in eine Gesetzeskonstruktion umfunktioniert werden. Nur wer den Islam als geistig-religiöse Suprastruktur wahrnimmt, kann seine Transzendenz begreifen. Reformen können daher nur aus diesem Geiste entstehen.

Jacques Naoum

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