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Kultur: Europa hing unter der Decke

Sachsens Kulturstätten nach der Flut: Jetzt beginnt der Kampf der Denkmalpfleger um den Wiederaufbau – und gegen längst beschlossene Sparmaßnahmen

Von Michael Zajonz

„Wir sind mit zwei blauen Augen davongekommen“, resümiert Martin Roth mit Blick auf rund 20000 zwischen Dienstag und Samstag vergangener Woche in die Obergeschosse von Sempergalerie, Zwinger, Albertinum und Schloss Pillnitz geretteten Kunstwerke. Doch dem Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen zu Dresden ist die Erleichterung über die geglückte Verlagerung des Hauptteils der Sammlungen nur noch bedingt anzumerken.

Zwar gab es bei den teils abenteuerlichen Bergungsaktionen erstaunlich geringe Verluste. Neben Transportschäden an einigen Stücken der Skulpturensammlung mussten in den Kellerdepots der Sempergalerie 50 Bilderrahmen zurückgelassen werden. Die vier unter der Decke festgezurrten Großformate – darunter der „Raub der Europa“ aus der Werkstatt Paolo Veroneses – harren weiter der restauratorischen Begutachtung. An 25 Gemälden wurden bislang Feuchtigkeitsschäden festgestellt. Das prominenteste Opfer unter den Museumsstücken dürfte das Große Türkenzelt der Rüstkammer sein. Die Luxusherberge eines osmanischen Feldherrn ist viel zu ausladend, um in der Restaurierungswerkstatt trocknen zu können. Und viel zu brüchig, um das kostbar gewirkte Gewebe einfach in die Sonne zu legen.

Roth muss seinen vorsichtigen Optimismus auf der eilig einberufenen ersten Bilanz-Pressekonferenz der Staatlichen Kunstsammlungen ohnehin sofort wieder einschränken. Die in den Untergeschossen untergebrachte technische Infrastruktur der meisten Häuser ist stark beschädigt. Am schwersten traf es die zunächst von der Weißeritz und dann von der Elbe überflutete Sempergalerie. Die Behausung der weltberühmten Gemäldekollektion ist als Museum vorerst unbrauchbar geworden, obwohl sie nach wie vor den Bilderschatz bergen muss. Strom, Wasser, Klimaanlage, Aufzüge, Feuerlösch- und Sicherungstechnik – alles wohl irreparabel hinüber. Erst 1992 war der historistische Galeriebau nach einer 100 Millionen Mark teuren Generalsanierung als einer der am stärksten hochgerüsteten Museen Deutschlands wiedereröffnet worden. „Die Schadensbilanz für die Galerie Alter Meister ist verheerend“, bilanziert Michael John, der technische Leiter, der nach Einschätzung seines Chefs reif für das Bundesverdienstkreuz ist.

Kritisch wurde es noch einmal ab Freitagmorgen um 3 Uhr, als die Entscheidung für die Räumung des stromaufwärts gelegenen Kunstgewerbemuseums im Schloss Pillnitz getroffen wurde. Etwa 30 Zentimeter unterhalb der Parkettböden der normalerweise mit exquisiten Möbeln, Tapeten und Täfelungen geschmückten Räume kam das Wasser – oder vielmehr jenes Gemisch aus Heizöl, Fäkalien und Chemiemüll, das man derzeit dafür zu halten bereit ist – schließlich zum Stillstand. Inzwischen versucht man, das Ausmaß der Schäden zu begreifen und drohende Folgeschäden abzuwenden.

Gleichwohl gab am Montag eine tragende Wand der südwestlichen Langgalerie des Zwingers dem Wasserdruck nach. Doch Grund zur Sorge bestehe, so der Leiter des Staatlichen Hochbauamtes, Ludwig Coulain, selbst bei der „abgesoffenen“ Baustelle des Schlosses nicht. Die Bilder vom gefluteten Zwingerhof oder vom Wasserschloss Pillnitz, dem die Fluten bis zur Taille stehen, gingen um die Welt.

Dresden wird auch diesmal sein – wenn auch lädiertes – Profil bewahren können. Martin Roth übernimmt dabei überzeugend die Rolle eines Anwalts der Sächsischen Kulturlandschaft. Die Hilfsbereitschaft von Privatpersonen, Firmen und etlichen deutschen Museen zwischen Hamburg und München ist in nicht unbeträchtlichem Maß seiner Eloquenz zu verdanken. Roths jüngster Coup: Die Kulturstiftung der Länder finanziert den Dresdener Museen Restaurierungsleistungen in Höhe von 500000 Euro.

Das sind Summen, von denen die Provinz nur träumen kann. Und die beginnt mitten in der Landeshauptstadt. Das sächsische Landesdenkmalamt hat die Naturkatastrophe in einem Moment der internen Umstrukturierung erreicht. 62 Mitarbeiter beschäftigen sich nun vorrangig mit der provisorischen Schadenserfassung. Die Wünsche, die man an die Besitzer von Baudenkmälern richtet, sind bescheiden: Man solle die Schäden melden, nicht gleich zum reinigenden Wasserschlauch greifen und die kostenlose Beratung der zahlreichen freien Restauratoren möglichst auch nutzen.

Geradezu paradox nimmt sich die Situation in Dresden selbst aus. Denn es gibt momentan keinen ordentlichen Landeskonservator, der den von der Staatsregierung beschlossenen Abbau von zwölf Stellen in der oberen Denkmalbehörde bis 2008 verhindern könnte. Der lapidare Kommentar des Restaurators Arndt Kiesewetter: „Wir kämpfen derzeit an zwei Fronten: gegen das Hochwasser und gegen die drohende Privatisierung der Abteilung Restaurierung.“ Die Nachrichten, die in der Landeshauptstadt Dresden einlaufen, sind ebenfalls nicht ermutigend. Im Städtchen Grimma, durch den Kanzlerbesuch kurzzeitig im Zentrum der Aufmerksamkeit, müssen rund 20 einsturzgefährdete Gebäude denkmalpflegerisch begutachtet und im schlimmsten Fall vor dem Abriss durch Fotos und Skizzen dokumentiert werden. Die zuständige Denkmalpflegerin Ulrike Müller traut sich derzeit kaum auf die Straße, so gereizt ist die Stimmung. Der Bauamtsleiter geht als fliegende Behörde durch die Straßen und erteilt Abrissgenehmigungen. Die vor wenigen Jahren restaurierte barocke Pöppelmann-Brücke sei durch die anstürmende Mulde schwer beschädigt.

Wohin man sich derzeit auch wendet: ob nach Weesenstein an der Müglitz, wo vom Ort selbst und von dem barocken Schlosspark wenig übrig geblieben ist; ob nach Leisnig an der Mulde oder Zschopau: überall Schreckensbilder und Geschichten, die sich in ihrer Dramatik ähneln. Wenn die sächsische Kultur, die in Dresden gern gerühmt wird, wirklich untergehen sollte, dann tut sie es unbemerkt am ehesten in der Provinz.

Unterdessen appellieren die deutschen Kritikerverbände an die Bundesregierung, die neu gegründete Bundeskulturstiftung als „Kulturellen Krisenstab“ für die hochwassergeschädigten Kunststätten tätig werden zu lassen. Die Stiftung solle sich als Motor für die Organisation einer umfassenden Hilfe-Aktion verstehen und für die Beteiligung auch ausländischer Partner und Sponsoren werben. Denn weder Dresden noch den Kulturschätzen kleinerer Orte ist geholfen, wenn es zu einem Konkurrenzkampf um Spendengelder kommt.

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