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ruhr 2010

© Abbildung: Ruhr 2010

Europäische Kulturhauptstadt: Ist es Peking? Ist es New York?

Agenda 2010: Wie sich Essen und das Ruhrgebiet für die Europäische Kulturhauptstadt rüsten.

Natürlich schauen sie neidisch gen Osten. Berlin hat jährlich 7,6 Millionen Besucher, im ganzen großen Ruhrgebiet dagegen werden per anno lediglich 2,5 Millionen Gäste gezählt. Das soll sich nun ändern: „Reisende soll man aufhalten“, lautet einer der Slogans für die Europäische Kulturhauptstadt 2010. Dass sich die EU unter allen deutschen Bewerbern ausgerechnet für Essen als Stellvertreterin des Ruhrgebiets entschieden hat und nicht etwa für den kulturell so bedeutenden NRW-Konkurrenten Köln oder das osterweiterungspolitisch korrekte Görlitz, macht die Leute stolz. Und die Landesregierung weiß, dass sich hier die große, einmalige, vielleicht auch die letzte Chance bietet, das ewig zerstrittene Konglomerat von 53 finanziell am Hungertuch nagenden Kommunen zu einer starken Einheit zusammenzuschweißen.

2010 soll als Schlüsseljahr in die Geschichte der Region eingehen. Als Wendepunkt, an dem sich der Kohlenpott vom „historisch bedeutenden Transitraum“ zum Touristenmagnet entwickelt, wie es Fritz Pleitgen predigt. „Wir sind ein Jahrtausendereignis“, sagt Pleitgen, ein Ruhrgestein: Der in Duisburg geborene ARD-Journalist glaubt an das Entwicklungspotenzial seiner Heimat. Darum stellt er sein bundesweit bekanntes Fernsehgesicht in den Dienst der gemeinsamen Kulturhauptstadtsache. Nach seinem Ausscheiden als WDR-Intendant hat der 70-Jährige seinen Ruhestand noch einmal verschoben, sich zum Geschäftsführer von „Ruhr2010“ wählen lassen und tingelt als Werbetrommler durch die Lande.

Als erstes holt er stets ein Satellitenfoto heraus, das Europa bei Nacht zeigt. Drei funkelnde Flächen fallen sofort ins Auge: London, Paris und das Ruhrgebiet. Berlin dagegen ist nur ein mickriges, milchiges Fleckchen. Mit seinen 5,3 Millionen Einwohnern ist der Pott tatsächlich der drittgrößte Ballungsraum der EU. Nun soll endlich auch eine Metropole daraus werden, eine Riesengroßstadt mit 53 Bezirken, die so klangvolle Namen tragen wie Alpen, Datteln, Sprockhövel, Oer-Erckenschwick oder Neukirchen-Vluyn.

Vielleicht bringt die Angst, am Ende des Kulturhauptstadtjahres als Großmäuler der Nation dazustehen, die Lokalfürsten ja tatsächlich dazu, ihr Kirchturmdenken aufzugeben. Es ist für Außenstehende schwer verständlich, aber man bleibt hier gern auf seiner Scholle, selbst im Kulturbereich. Der Dortmunder fährt nicht selbstverständlich zum Theater auch nach Bochum, der Duisburger nicht ins Konzert nach Essen. In der Politik sieht es nicht besser aus.

Am kommunalen Kannibalismus sind bisher alle Metropolen-Träume stets zerplatzt. Blättert man durch das gerade erschienene „Buch eins“, in dem die Pläne für 2010 vorgestellt werden, stößt man auf die altbekannten Symbolbilder von Industriedenkmalen und Malocheridylle, die tausendmal verwendeten Imagefotos, findet so manches Projekt, so manche Kampagne wieder, an denen hier schon seit Jahren herumlaboriert wird. Ortskundige enttäuscht das. Und doch kann man es auch positiv sehen, als letzten Akt eines Trauerspiels, der hoffentlich zum unerwarteten Happyend führt.

„200 Museen, 100 Kulturzentren - is it Beijing?“, fragt der aktuelle Imagefilm, „120 Theater, 100 Konzertstätten - is it New York?“ Nein, es ist natürlich das Ruhrgebiet. Das örtliche Kulturangebot braucht sich in der Tat nicht zu verstecken, und was von den Projekten für 2010 bislang angedeutet wurde – ein städteübergreifendes Festival für den Komponisten Hans Werner Henze, eine neue Odyssee mit sechs Regisseuren in sechs Theatern, ein Ausstellungsprojekt von 18 Institutionen, der „Day of Song“, an dem 60 000 Menschen in der Arena auf Schalke gemeinsam Lieder singen – ist durchaus von überregionalem Interesse. Und auch die architektonischen Prestigeprojekte, die jetzt möglich werden, haben Weltniveau: Chipperfield baut das neue Folkwang-Museum in Essen, Herzog & de Meuron setzen ihrer Duisburger Küppersmühle einen gläsernen Kubus auf, Markus Lüpertz stellt eine 25 Meter hohe Monumental-Plastik auf die ehemalige Nordstern-Zeche in Gelsenkirchen.

Gerade im Ausland, berichtet Fritz Pleitgen, hält sich hartnäckig ein Ruhrpott-Image, das mit der Realität nichts mehr zu tun hat: The devil''s foundry, das Teufels Stahlschmiede, ist die Region längst nicht mehr. Wer von oben auf die Landschaft herabschaut, vom 118 Meter hohen Gasometer in Oberhausen beispielsweise, der sieht: grün statt grau, keine rauchenden Schlote, sondern Wiesen, Wälder, Parks, dazwischen Flüsse, auf denen die Sonne tanzt. „Das Ruhrgebiet atmet nicht mehr Staub, sondern Zukunft“, befand der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg, nachdem er als Mitglied der nationalen Auswahlkommission für die deutsche Kulturhauptstadt-Bewerbung die Region besucht hatte.

Steigt man allerdings wieder auf Straßenniveau herab, fällt vor allem die Zersiedlung auf. Was der Satellitenkamera als nächtliches Leuchtfeuer erscheint, ist, bei Licht betrachtet, keine pulsierende, urbane Struktur, sondern nur ein gigantischer Vorort. Zechensiedlungen in Endlosreihe, dreigeschossige Mietshäuser, in wüster Mischung aus alt und neu. Immer wieder kommt man durch halb aufgegebene Geschäftsstraßen, die von mangelnder Kaufkraft künden, die traditionellen Trinkhallen verschwinden, ebenso die Eckkneipen, weil das obligatorische Feierabendbier jetzt immer öfter zuhause aufgemacht wird. Selbst die Innenstadt von Bochum atmet eher den Charme eines Berliner Außenbezirks.

Darum müssen die „Ruhr2010“-Macher zweigleisig fahren: einerseits spektakuläre Events schaffen, mit denen sich Medienaufmerksamkeit generieren lässt, wie das „Still-Leben auf der A 40“, bei dem am 18. Juli 2010 die Hauptverkehrsader der Region auf 60 Kilometern Länge gesperrt und der längste Tisch der Welt aufgebaut wird. Oder die Sache mit den Fesselballons, die überall dort aufsteigen sollen, wo früher mal Zechen waren. Insgesamt 500 „Schachtzeichen“ werden dann am inzwischen blauen Himmel schaukeln.

Zum anderen muss es aber darum gehen, die Lebensqualität über das Jubeljahr hinaus aufzuwerten. Zu den nachhaltigen Projekten zählt unter anderem der „Phoenix-See“ in Dortmund auf dem Gelände eines abgetragenen Stahlwerks. Die Autobahn A 40 soll zum Labor für Urbanität des 21. Jahrhunderts werden, bei dem alle Anrainergemeinden sich auf einen Masterplan zur kreativen Aufwertung des Ruhrschnellwegs einigen. Die parallel verlaufende A 42 will man im Tal der Emscher zur grünen „Parkautobahn“ aufwerten. Der Fluss selber soll dort renaturiert werden: Die stinkende Kloake, die die Emscher heute ist, wird unterirdisch abgeleitet, oben fließt dann Frischwasser, Künstler gestalten die Ufer.

Mit solchen Projekten werden, so Karl-Heinz Petzinka, der künstlerische Leiter für Architektur und Stadtentwicklung im sechsköpfigen „Ruhr2010“-Leitungsteam, „imitationsfähige Modelle für Europa“ geschaffen. Na dann Glück auf!

Infos: www.ruhr2010.de

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