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Kundgebung in Athen. Am Syntagma-Platz wird am 16. Februar für einen Schuldenschnitt gegenüber Brüssel demonstriert.

© Simela Pantzartzi/dpa

Europäische Kulturpolitik: Danaer in Nadelstreifen

Wie Europa sich in der Krise von seinen humanistischen Werten verabschiedet und kulturpolitisch auf ein amerikanisches Modell zusteuert. Ein Zwischenruf aus griechischer Sicht.

Wovon ist die Rede, wenn wir heute von Europa reden? Welches Maß an bürgerlichen Freiheitsrechte braucht Europa? Wie reagieren wir auf die Ausbrüche von Fremdenfeindlichkeit und nationalistischer Selbstbehauptung? Solchen Fragen gingen 2014 die „Debatten über Europa“ in Athen, Belgrad und Bukarest nach. in einer Kooperationsveranstaltung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Akademie der Künste, der S. Fischer Stiftung und der Allianz Kulturstiftung kamen am vergangenen Freitag in der ADK am Pariser Platz entscheidende Positionen noch einmal zur Sprache. Protagonisten des kulturellen Lebens aus Athen, Belgrad und Bukarest diskutierten über Herausforderungen des europäischen Projekts. Wir dokumentieren stark gekürzt den Beitrag der griechischen Kulturjournalistin Mikela Chartoulari.

Existenzangst und ein Gefühl der Ausweglosigkeit haben in den letzten Jahren unseren griechischen Alltag bestimmt. Harte neoliberale Maßnahmen haben unser Leben aus der Bahn geworfen, uns aber auch dazu gezwungen, darüber nachzudenken, wie wir leben wollen. Das erste Opfer der Krisenpolitik war der Sozialstaat. Durch die strategischen Maßnahmen, die die Regierungen Papandreou, Papadimos und Samaras umgesetzt haben, wurde die kulturelle Landschaft auf den Kopf gestellt. Gleichzeitig kam es aber auch zu einer Explosion von Kreativität.

Seit der Wahl der Regierung Tsipras vor einem Monat weht jedoch ein frischer Wind. Bereits jetzt lässt sich ein Kurswechsel bei der Kulturpolitik feststellen: Die Zusammenlegung des Bildungsministeriums mit dem Kulturministerium unterstreicht, dass Kultur kein Luxus ist, sondern ein Allgemeingut. Man könnte sagen, dass dies der erste Schritt hin zu einem Paradigmenwechsel in der Beziehung zwischen Kultur und Demokratie ist – die wiederum keine ausschließlich griechische Frage darstellt, sondern eine europäische.

In den Jahren der globalen Krise hat sich die Europäische Union schrittweise der Ideale des Humanismus entledigt. Zum Beispiel droht das wichtige Ziel der Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung und Kultur und damit die Chance der sozialen Mobilität aufgegeben zu werden. Dies vergiftet die demokratische Kultur und schadet der europäischen Identität, wie wir sie kannten. Gleichzeitig fördert es Neonazismus, Rassismus, Xenophobie, Islamophobie und Homophobie. Wie kann die Europäische Union als einende Kraft funktionieren? Was wird der kulturellen Ausgrenzung schwacher Gruppen entgegengesetzt?

Private Stiftungen übernehmen die Rolle des Staates

Kundgebung in Athen. Am Syntagma-Platz wird am 16. Februar für einen Schuldenschnitt gegenüber Brüssel demonstriert.
Kundgebung in Athen. Am Syntagma-Platz wird am 16. Februar für einen Schuldenschnitt gegenüber Brüssel demonstriert.

© Simela Pantzartzi/dpa

In Griechenland begann alles bereits kurz vor 2010 – mit der Geringschätzung der Kultur durch die Regierungen, die die Geschicke des Landes nach der „Party“ der Olympischen Spiele 2004 lenkten. Antonis Samaras, der im Januar 2015 als Ministerpräsident abgewählt wurde, war 2009 Kulturminister. Damals unterzeichnete die griechische Regierung einen Schenkungsvertrag mit der gemeinnützigen Stiftung Stavros Niarchos, die sich verpflichtete, Ende 2015 eine ultramoderne Nationalbibliothek, ein Opernhaus und einen großen Park auf einem hochwertigen Grundstück gleich am Meer im Athener Stadtteil Faliriko Delta der Öffentlichkeit zu übergeben.

Damals begann sich ein Phänomen zu entwickeln, das sich mit der Wirtschaftskrise zuspitzte. Es breitete sich das „amerikanische“ Modell aus. Über Stiftungen drängt seither privates Kapital auf den Kulturmarkt. Große Mäzene, die Danaer sozusagen, verbessern das Kulturleben, fördern das zeitgenössische intellektuelle und künstlerische Schaffen und modernisieren die kulturelle Infrastruktur. Die Onassis-Stiftung erwirbt das Kavafis-Archiv, die Niarchos-Stiftung organisiert die berühmte Leihbibliothek von Athen und finanziert die Übersetzung der Werke von Aristoteles. Auf diese Weise verändern sich der kulturelle Kanon und die kulturelle Landschaft Griechenlands. Zugleich zieht sich der Staat zurück. Seit 2010 und seit dem Abbau des Kulturministeriums aus Spargründen hat der Staat die Zügel der Kulturpolitik ausschließlich für das kulturelle Erbe in der Hand behalten. In der Praxis bedeutet dies die ideologische und biopolitische Instrumentalisierung der Antike durch den Staat, während die lebendige Kulturszene den privaten Mäzenen überlassen bleibt.

„Wer gestaltet“, so fragt Christos Asteriou, „den kulturellen Masterplan in Zeiten der Krise?“ Hat die Sparpolitik am Ende den Weg zu einer Kolonialisierung der Kultur durch die Wirtschaft geebnet? Die griechische Regierung hat sich nicht die Möglichkeit vorbehalten, bei der privaten Kulturfinanzierung regulierend einzugreifen. Ein Beispiel aus der Welt der Bücher: Seit 2011 wurden 700 Schulbibliotheken und das Europäische Zentrum für literarisches Übersetzen geschlossen. Sämtliche Aktivitäten des Nationalen Buchzentrums wurden gestrichen, die Artists Residence auf Paros gibt es nicht mehr, die Nationalbibliothek muss ohne Bibliografie nationaler Autoren, ohne Digitalisierung und ohne Personal auskommen. Gleichzeitig wurde die Mehrwertsteuer auf Bücher verdoppelt. Und am Ende, nach einem Vorschlag unter anderem der OECD, wurde auch noch die Buchpreisbindung abgeschafft – unter dem Vorwand, dass dies den Markt beleben werde.

Der Markt wurde dereguliert, mit der Folge, dass die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Buchbranche um 50 Prozent sank und das Buch vom Staat nicht länger als Kulturgut behandelt wurde. Während sich die Buchbasare vervielfacht haben, kämpfen die kleinen Buchläden ums Überleben, die großen Ketten mussten schließen oder sind geschrumpft. Verlage haben Schwierigkeiten, ihre Übersetzer, Lektoren und Herausgeber zu bezahlen. Die ganze Branche basiert auf nichts anderem mehr als auf Leidenschaft und Selbstausbeutung. Eine andere Folge ist, dass immer weniger Verleger das Risiko eingehen, Neues, vermeintlich Schwieriges, vorzustellen. So erlebt die Buchbranche einen Qualitätswandel, sie wird ganz dem Diktat des Marktes unterworfen.

Die Verbindung zwischen Kultur und Demokratie ist in Europa heute nicht mehr selbstverständlich. Wenn wir noch an diese Verbindung glauben, müssen wir neue Regeln des Zusammenlebens finden.

Mikela Chartoulari

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