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Europäische Zentralbank: Neue Zentrale in Frankfurt am Main

Die Europäische Zentralbank errichtet sich in Frankfurt am Main eine maßgeschneiderte Zentrale – aus alter Großmarkthalle und neuem Hochhaus.

Ein Bollwerk der Geldwertstabilität sollte die Europäische Zentralbank (EZB) sein. Deswegen wurde sie nach langem Tauziehen auch in Frankfurt am Main angesiedelt, als sichtbares Zeichen für die Fortführung der Tradition der Bundesbank. Nun genügte ein einziges, das vergangeneWochenende, um die Bastion zu schleifen und die EZB dem Primat der Politik zu unterwerfen – die Rettung des bedrängten Euro-Systems machte es erforderlich. Wenn nun am kommenden Mittwoch der Grundstein zum Neubau gelegt wird, so geschieht dies im Schatten der aktuellen Ereignisse.

Das wird an dem stolzen Vorhaben nichts ändern. Vielleicht jedoch an dessen künftiger Wahrnehmung. Acht Jahre bereits reicht die Planung für einen Neubau zurück. Ein dreistufiger Wettbewerb wurde veranstaltet, in dem sich das Wiener Büro Coop Himmelb(l)au mit Vormann Wolf D. Prix durchsetzen konnte. Natürlich musste es ein Hochhaus sein, schließlich demonstrieren alle Banken in „Mainhattan“, dass sie sich zu Höherem berufen fühlen.

Doch der auserkorene Ort ist sensibel. Es geht um ein Gelände im Osten der Stadt, in dessen Mitte sich die ehemalige Großmarkthalle aus dem Jahr 1928 erhebt. Eine gewaltige Halle, 220 Meter lang und 23 Meter hoch, ein Denkmal des „Neuen Frankfurt“, als das sich die Stadt zwischen Erstem Weltkrieg und NS-Machtergreifung verstand und propagierte. Martin Elsaesser, der (künstlerische) Stadtbaudirektor unter dem dynamischen Baudezernenten Ernst May – der die berühmten, streng rationalistischen Großsiedlungen schuf –, entwarf die Großmarkthalle als einen geradezu fabrikmäßigen Organismus, mit Bahngleisen, Hafenkränen am nahen Main, mit einer vorgelagerten „Importhalle“ und zahllosen funktionalen Details, die das traditionelle Marktgeschehen hoch effizient machten.

Nicht nur als Baudenkmal – zudem in höchst innovativer, während des Bauvorgangs selbst noch beständig verbesserter Technik – steht die Großmarkthalle unter Denkmalschutz. Sie ist, wie kürzlich bei einem ersten „Workshop“ der EZB zu ihrem Neubauprojekt vorgetragen wurde, zugleich ein Monument der Frankfurter Sozialpolitik. Die grassierenden Mangelkrankheiten unter den Frankfurter Kindern sollten durch verbesserte Versorgung mit Obst und Gemüse bekämpft werden.

Was aber anstellen mit einer riesigen, stützenfreien Halle, die auf früchtefreundliche acht Grad Innentemperatur ausgelegt ist und auf geringe Tageslichtbeleuchtung? Alles aus Beton, der in den zwanziger Jahren ein längst nicht erforschter Baustoff war, sodass sich heute typische Bauschäden wie freiliegende und somit rostende Eisenarmierungen zeigen? Der Zugriff der EZB machte die Problematik allen Denkmalschutzes deutlich: Ein Gebäude ohne Nutzung verfällt unweigerlich – doch jede Nutzung greift unwiderruflich in die Substanz ein.

Im Falle des Himmelb(l)au-Entwurfs ist der Eingriff erheblich, soll doch ein Eingangsbauwerk als Riegel schräg durch das vordere, stadtzugewandte Drittel der Halle getrieben werden, um die Halle mit dem unmittelbar daneben zu errichtenden, 180 Meter hohen Doppelturm für 2300 EZB-Mitarbeiter zu verbinden. Die Halle selbst, als Denkmal nicht auf heute geltende Energieeffizienzstandards zu „ertüchtigen“, soll nach einem Haus-im-Haus-Konzept zum Konferenzgebäude hergerichtet werden.

Gegen das im wahrsten Sinne des Wortes einschneidende Eingangsgebäude hat es erhebliche Proteste gegeben; auch darum fühlte sich die EZB gedrängt, Einblick in ihre Planungen zu geben. Sie zeigen, nach dem Urteil von Kennern des langjährigen Ringens um das Riesenbaudenkmal, den Lernprozess, der sich bei allen Beteiligten abgespielt hat. Immerhin agiert die EZB als Bauherr und wird auch fürs spätere Gebäudemanagement Sorge tragen – eine heute bei kommerziellen Auftraggebern ganz unüblich gewordene Eigenverantwortung.

Die lange Planungszeit ist nicht zuletzt der sorgfältigen Bauforschung geschuldet, die die Großmarkthalle zu einem der am gründlichsten untersuchten Bauten der zwanziger Jahre gemacht hat. Die Großform der graudüsteren Betonkonstruktion zeigt sich bei genauem Hinsehen als ein unglaublich fein gestalteter Entwurf, bei dem bis ins kleinste Detail hinein, bis hin zu wandgebundenen Sitzbänken oder metallenen Stoßfängern an den Toren alles miteinander harmoniert.

Der Architekt, Martin Elsaesser (1884-1957), war kein radikaler Neuerer. Er kam vom Kirchenbau, und vielleicht auch darum hieß die Großmarkthalle im Volksmund „Gemüsekirche“. Elsaesser besaß ein feines Gespür für Maß und Proportion. Die Markthalle ist überall nüchtern, aus Beton konstruiert und in Klinkermauerwerk gefasst. Doch sie gibt mit ihren vielfach abzulesenden Symmetrien den Anspruch zu verstehen, als Bauaufgabe durchaus mit nobleren Zwecken mithalten zu können, und sei es dem einer Kirche.

Im Inneren überwältigt das enorme Volumen der von quergestellten Halbtonnen überwölbten Halle. Deutlich abzulesen sind die Fortschritte, die unmittelbar im Bauprozess umgesetzt wurden, so in der Oberflächenbehandlung des empfindlichen Betons. Die Sorgfalt, die Elsaesser dem Mauerwerk hat angedeihen lassen, bis hin zu verschiedenfarbigem Fugenmörtel, um die Wirkung der Klinker zu verstärken, macht heute nur mehr staunen. Kein Wunder, dass die Denkmalpfleger jetzt nur Handwerker zulassen, die zuvor in die erforderlichen, damals selbstverständlichen Handgriffe und Techniken eingewiesen wurden.

Wenn es ein Pathos der Sachlichkeit gibt, als Signum der späten zwanziger Jahre – hier ist es. Nach der Besichtigung der Großmarkthalle in ihrem noch unberührten Dämmerzustand leuchtet ein, dass die Erhaltung dieser Bau-Ikone den Kompromiss erfordert, den die Nutzung als Bankzentrale nun einmal mit sich bringt. Die Alternative hieße Verfall und Abriss, womit gerade Frankfurt gefährlich schnell zur Hand ist.

Von kommender Woche an wird zu verfolgen sein, ob die guten Absichten bei dem insgesamt 500 Millionen Euro teuren Bauvorhaben auch verwirklicht werden. Wieviel für die reine Denkmalpflege aufgewendet werden soll – oder darf –, mochte die EZB nicht verraten. Indes: Wo Geld nur noch, frei nach Donald Duck, in „Fantastilliarden“ gerechnet wird, muss ausgerechnet deren Verwalterin EZB wohl nicht sparen.

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