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Kultur: Europäischer Filmpreis: Das verflixte 13. Jahr

Man muss sich das vorstellen: Das renommierte Wochenblatt "Le Nouvel Observateur" kündigt in seiner Fernseh-Vorschau die Gala zum Europäischen Filmpreis 2000 mit folgenden Worten an: "Schon wieder so eine Selbstbeweihräucherungs-Zeremonie. Haben Sie solche Sachen nicht längst satt?

Man muss sich das vorstellen: Das renommierte Wochenblatt "Le Nouvel Observateur" kündigt in seiner Fernseh-Vorschau die Gala zum Europäischen Filmpreis 2000 mit folgenden Worten an: "Schon wieder so eine Selbstbeweihräucherungs-Zeremonie. Haben Sie solche Sachen nicht längst satt? Ach so, Sie schlafen schon..." Was für ein Vorab-Verriss: Wo bleibt da der französische Charme?

Was wäre, wenn - zum Beispiel Julia Roberts den Oscar für "Erin Brockovich" erhält, aber, weil sie gerade in New York dreht, statt ihrer die Präsentatorin des Preises Helen Hunt die Statuette entgegennimmt? Weiter geht die Szene dann so: "Behalten Sie das Ding erst mal," ruft ihr der Moderator zu, "Julia Roberts wird es sich dann schon abholen." Der Regisseur des Siegerfilms schließlich macht es sich noch einfacher: Er bleibt gleich ganz zu Hause.

Bei der Oscar-Verleihung wären solche Szenen gewiss undenkbar. Geschehen sind sie aber am Sonnabend in Paris. Keine Björk bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises für ihren Jahrhundertauftritt in der Kino-Welt. Kein Lars von Trier, Björks Regisseur in "Dancer in the Dark". Man weiß, er reist nicht gern, er hat Flugangst. Aber von Kopenhagen nach Paris, wenn Europa ruft, ist das nicht eine überwindbare Entfernung?

Man könnte jetzt die letzte, schlimme Summe ziehen und sagen: Dieser 13. Europäische Filmpreis ist das Ende mit Schrecken. Denn was soll man von einer Veranstaltung halten, die bis in ihre Wahl-Strukturen hinein der europäische Oscar sein will und von ihren alles überstrahlenden Stars Björk und Lars von Trier geschnitten wird - Stars, die im Frühling in Cannes zur Entgegennahme der Goldenen Palme noch brav angetanzt waren? Was ist von einer Film-Gala zu halten, die in der Landespresse, von "Le Monde" bis "Libération", vorab mit keinem Wort erwähnt wird und die selbst im Lokalblatt "Le Journal du Dimanche" trotz zahlreicher Filmprominenz, plus Premierminister Jospin, plus Kulturministerin Tasca keine Chance hat gegen den traditionellen Debütantinnenball im Hotel Crillon? Was soll ein Ereignis, das die Blamage seiner zahlreichen No-Shows in 27 europäische Nationen überträgt und diese noch durch Zoten überbietet, mit denen sich die Moderatoren Rupert Everett und Antoine de Caunes eilig durch einen schmucklosen Abend hangeln?

Und doch, der europäische Film, dieser ressourcenreiche, vielarmige, vieläugige, vielzüngige Organismus, braucht ein solches Ereignis, gerade als Kontrapunkt zu den Oscars. Nicht nur, weil die Europäer allen Grund zum Feiern ihrer Kreativität haben, sogar zur Selbstbeweihräucherung - besonders eklatant in diesem Jahr, wo die Amerikaner vor lauter Mängelware kaum Material für ihre Nominierungslisten sammeln können. Nein, die seit dem Gipfel von Seattle zum Schlagwort gewordene "diversité culturelle", mit der die Europäer sich etwa mit Quoten-Verordnungen gegen die amerikanische Hegemonie zu schützen suchen, muss sich nicht verstecken. Europa ist kein Biotop für aussterbende Kultur-Arten. Aber die den Filmpreis veranstaltende European Film Academy (EFA), die mittlerweile über 1000 Mitglieder hat, sollte ihr Motto "No motion without promotion" endlich beim Wort nehmen.

Natürlich gibt es ein strukturelles Problem. Die "kulturelle Verschiedenheit" der Europäer beschwört nicht nur einen kreativen Reichtum gegenüber Amerika, sondern wirkt nach innen eher fatal. Die Französin Agnès Jaoui traf bei der Gala ins Schwarze, als sie nach dem Sichten der Trailer für den Drehbuch-Preis bekannte, keinen der anderen nominierten Filme zu kennen. "Ich hoffe, dass sie alle eines Tages zumindest in den europäischen Hauptstädten zu sehen sein werden." Wie soll man feiern, was man nicht kennt? Etwas, dessen Vermittlung über Sprachbarrieren hinweg viel Geld kostet, Geld, welches angesichts der ungewissen Erfolgsaussichten kaum jemand ausgeben will. Ökonomisch und politisch wächst Europa immer mehr zusammen; kulturell - zumindest filmkulturell - driftet es immer weiter auseinander.

Am Morgen vor der Gala, beim öffentlichen Symposion vor 800 Zuhörern im Odéon-Theater, hätte man darüber reden können. Stattdessen lenkte Wim Wenders die Debatte sofort auf ein - fraglos wichtiges - Nebenfeld und appellierte an seine europäischen Kollegen, sich der digitalen Revolution nicht zu verschließen. Anders gesagt: nicht den Zug zu verpassen, den die Amerikaner längst bestiegen haben. Ein "Erdbeben" sei da im Gange, sagte er, ein Prozess, der "das Kino neu erfindet".

Ja, "die kinematografische Vergangenheit hilft uns nicht für die Zukunft". Was Liv Ullmann zu einer leidenschaftlichen - und lautstark begrüßten - Predigt zu Gunsten des klassischen Kinos herausforderte, eines Kinos des Herzens und der Tränen, jenes Kinos, das sie als Kind zu lieben gelernt habe und in dem sich jeder, als erwachsen gewordenes Kind, wiederfinden könne. Pavel Lungin, russischer Regisseur mit Wohnsitz in Paris, setzte noch eins drauf: "Die Revolution des Digitalen? Für mich ist das die Revolte der Staubsauger!"

Kein Wunder also, dass es keinen Applaus gab für Viviane Reding, die europäische Kultur-Kommissarin, als sie die nüchternste, aber wichtigste Bemerkung des Vormittags machte. 400 Millionen Euro hat sie nach langem Ringen mit den Regierungen für das Programm "Media 3" unter Dach und Fach gebracht: den europäischen Filmförderfonds für die Jahre 2001 bis 2005. Das ist fast eine Milliarde Mark, aber geteilt durch die Jahre und die beteiligten Länder bleibt für die einzelnen Anwärter nicht viel übrig, jedenfalls nicht, wenn man die Summe mit den üppigen Förderetats der Deutschen und der Franzosen vergleicht. Und doch: Es ist Geld da für das europäische Kino. Man muss es nur sinnvoll investieren.

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