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José Manuel Barroso.

© dpa

European Culture Forum in Brüssel: Ökonomie der Insel

Der größte europäische Kulturkongress in Brüssel sucht nach Ideen für die Gemeinschaft. Doch es scheint, als habe sich die EU-Kommission von der Lebenswirklichkeit der Menschen weit entfernt.

Es war ein deutliches Signal. José Manuel Barroso, der Ratspräsident, hat das European Culture Forum in Brüssel mit eindringlichen Appellen zur Bedeutung der Kultur für das geeinte Europa eröffnet. Kultur sei das Wesentliche, was Europa zusammenhält, so Barroso. Im Kultursektor gebe es acht Millionen Arbeitsplätze. Mit Androulla Vassiliou, Kommissarin für Kultur, forderte er ein neues Narrativ für Europa, das auf gemeinsamen Werten basiere. Folgerichtig ist Kultur einer der wenigen Bereiche, der bei schrumpfendem Gesamthaushalt wächst. Das neue Programm „Creative Europe“ wird um neun Prozent besser ausgestattet.

Das European Culture Forum – von der Kommission alle zwei Jahre in Brüssel organisiert und mit rund 1500 Teilnehmern wohl die größte europäische Kulturkonferenz – ist Seismograf für aktuelle Diskussionen und Themen. Und leider auch abschreckendes Beispiel für die Arbeit der Kommission. Das Forum wurde dieses Jahr mit Spannung erwartet, erhofften doch die Teilnehmer Auskunft über das neue Programm, das von 2014 bis 2020 die Förderung der Kultur auf EU-Ebene konzipiert. Doch bevor dazu wenigstens Anhaltspunkte genannt wurden, beschäftige sich das Forum einen langen Tag mit Datenerhebung zum Wert der Kultur. Natürlich war man sich einig, dass es kein Primat des Ökonomischen geben darf, dass Wertschöpfung von Kultur in erster Linie nach anderen Kriterien gemessen und beurteilt werden muss.

Etwas konkreter die Themen des zweiten Tages: Neue Finanzierungsmodelle für Kultur und Audience Development. Die auch in Deutschland populäre Sichtweise, Kultur mit anderen Dienstleitungen zu einem „Kreativsektor“ zusammenzufassen, hilft, die gefühlte Relevanz zu heben. Andererseits wollen kritische Stimmen das Wesentliche und Unbezahlbare an Kunst nicht vereinnahmt sehen. Dennoch rücken Wirtschaft und Kultur anscheinend näher zusammen. Das kann beiden Seiten guttun, solange Ökonomie eher „kultiviert“ wird als Kultur kommerzialisiert. Interessant die Hinwendung zum Empfänger: Die Beschäftigung mit dem Publikum wird zu einem wichtigen Kriterium für Kulturförderung. Bemerkenswert auch die gravierenden nationalen Unterschiede. Während sich Institutionen in angelsächsischen Ländern, wo Kultur stärker privat finanziert ist, schon viel länger um Bildungsprogramme kümmern, liegt Deutschland im Mittelfeld.

Ansonsten brachte das Forum gute und schlechte Neuigkeiten. Das neue Erasmus-Programm „Erasmus plus“ wächst um 40 Prozent, um die schwierige Situation von Jugendlichen zu verbessern. Mit jetzt 15 Milliarden Euro sollen vier Millionen Menschen erreicht werden. Struktur und Administration von Erasmus werden stark vereinfacht, um der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Krisenländern mit verbesserter Ausbildung zu begegnen.

Geteilte Resonanz fanden die Informationen zu „Creative Europe“.

Geteilte Resonanz fanden die noch sehr vorläufigen Informationen zu „Creative Europe“. Hauptfokus ist nach wie vor die Förderung der Mobilität von Künstlern und Werken. Allerdings geschieht EU-Kulturförderung ausschließlich auf Antrag, es gibt keine institutionelle Förderung. Hier machte sich allgemeine Enttäuschung breit, weil viele Projekte und Einrichtungen, die bisher gefördert wurden, nicht mehr zu den Kriterien passen. Ein anderes, existenzielles Problem: Weil sich die Verabschiedung des EU-Haushalts verzögert, werden Details des Programms erst im Dezember veröffentlicht. Anträge müssen bis März gestellt, Entscheidungen im Sommer veröffentlicht werden – wohlgemerkt 2014! Projektträger und Veranstalter können also nicht seriös planen. Das Europäische Jugendorchester etwa weiß erst im Sommer, ob seine Frühjahrstournee gefördert wird oder nicht. Netzwerke, die bis zu 80 Prozent EU-finanziert sind, haben eine Finanzierungslücke von einigen Monaten und können daran zugrunde gehen.

Der Zeitplan führt die gewünschte Nachhaltigkeit ad absurdum. Kein Geheimnis ist, dass eher die guten Anträge als die guten Projekte gefördert werden. Wer in gute Beratung investiert, hat bessere Chancen auf Erfolg und Geldsegen aus Brüssel. All dies verstärkt den Eindruck, dass sich die EU-Kommission von der Lebenswirklichkeit der Projekte und Menschen vor Ort weit entfernt hat. Brüssel bleibt eine Insel.

Andreas Richter

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