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Kultur: Eva und die große Null - Mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg: Wollen wir das erleben?

Am Anfang ist Eva allein. So wie sie dort entlangläuft, auf den Terrassen und zwischen den Säulen des Hauses, irgendetwas Mittlerem aus Walhall und Bungalow, ahnt man: diese Frau ist schon lang allein.

Am Anfang ist Eva allein. So wie sie dort entlangläuft, auf den Terrassen und zwischen den Säulen des Hauses, irgendetwas Mittlerem aus Walhall und Bungalow, ahnt man: diese Frau ist schon lang allein. Gefangen auf Walhall. Nackt ist sie. Wer ganz allein ist, darf nackt sein. Nur dass bei der Geliebten des Führers selbst das Alleinsein Schein ist. Sie weiß ihre Bewacher um sich. Ihre Fernrohre. Sie sind unsichtbar? Nun gut, dann ist sie eben um so sichtbarer.

Aber geht das überhaupt? Hitler und die Seinen in voller Sichtbarkeit? Der Russe Aleksandr Sokurov war sich nicht sicher. Nur Hitler, da hätte er keine Luft mehr bekommen, sagt er. Nicht mal ein Bild. Vor einem schwarzen Hintergrund ließe sich etwas Schwarzes nicht erkennen. Also schob er Eva Braun zwischen sich und den großen Diktator. So mochte es gehen. Mit Farbfiltern, schützender, grobkörniger Unschärfe.

Zuletzt sahen wir Sokurovs "Mutter und Sohn". Eine Meditation. Manche nennen seine Filme Elegien. Vielleicht, daran glaubt Sokurov, fügen sich jene Erfahrungswelten, die sich einfacher Wortwerdung entziehen, ja der Bildwerdung? Bei "Mutter und Sohn" gelang die Sichtbarmachung des Wortfernen. Aber was macht ein filmischer Elegiker auf dem Obersalzberg? Elegien haben keine Ferne, die nicht zugleich Nähe wäre. Sokurov wusste, dass er hier eine andere brauchte. Die Bilder sollten Distanzen schaffen. Aber sind sie nicht auch seltsame Ästhetisierungen? Und wie überhaupt Abstand halten, peinlicher Zeugenschaft entgehen, so allein mit Hitler, Goebbels, Martin Bormann und Eva Braun auf dem Obersalzberg?

Aber noch einmal von vorn. Eva Braun auf der Terrasse. Sie ist die einzige hier oben, die nackt sein kann. Die dem eigenen ungeschützten Anblick standhält. Für Sokurov ist Eva Braun nicht schwarz wie Hitler. Ihm wird sie ganz hell - zu hell gar? Die einzig Lebendige unter lauter Marionetten. Sie blättert zwischen Hitlers Papieren, liest kurz hinein in seine Bücher, mit jenem leicht zoologisch getönten Interesse, das ein Nicht-Briefmarkensammler für die Alben eines Briefmarkensammlers haben mag, mit dem er zufällig befreundet ist. Nein, nicht befreundet - Eva Braun liebt Adolf Hitler. Sukorov stellt das nicht in Zweifel. Er versucht es auch nicht zu erklären. Ein Genie zu lieben, lässt er sie sagen, das sei wie der Versuch, die Sonne oder den Mond zu lieben. Eva Braun wartet auf die Sonne.

Und dann kommt sie wirklich an, diese lächerlichste, diese monströseste aller Leuchten. Die Dienstboten nehmen Aufstellung. Eva Braun steht unter ihnen. So stellt sie Hitler seinen Gästen vor. Und kein Augenblick der Nähe. Hat Sokurov diesen Film gemacht, um uns zu zeigen, dass Hitler keiner Nähe fähig war? Um das Marionettenhafte, das Nichtige dieses Mannes zu offenbaren? Wir sitzen mit an der abendlichen Obersalzbergtafel, hören Wissenswertes über die Zubereitung von Brennnesselsuppe und sind etwas peinlich berührt, wie es manchmal geschieht bei Tischgesellschaften, die zugleich privat und sehr offiziell sein sollen. Hitler führt das Gespräch. Es ist 1942. Der Krieg, hier oben ist er tabu und Hitler doch eher ein Unterhalter für Sportstadien als für kleinere Räume. Auch das ahnten wir. Das Banale, das grotesk Leere und Überanstrengte dieser Zusammenkunft erstaunt kaum.

Nur die wenigen Augenblicke, da Eva Braun allein ist mit dem Unberührbaren, offenbaren in ihrer hilflosen Privatheit jenen Zug ins Groteske und Gefährliche, der das ebenso ungewöhnliche wie gewagte Projekt rechtfertigen mag. Hitler in der Badewanne. Eva Braun: "Wer außer mir widerspricht dir?" Hitler: "Sprich weiter. Sage mir etwas Unverschämtes. Ich weiß, dass ich das Schlimmste verdiene." Eva Braun: "Du kannst nicht mit dir allein sein. Ohne Zuhörer bist du nicht mehr als eine Leiche." Und dann sagt sie ihm, in jenem Ton verklärender Erinnerung an die gemeinsamen Anfänge: "Weißt du, was mein Vater im Jahre 1929 sagte, als wir uns beim Photographen trafen? ... Dieser Mann ist eine große Null ... das sagte er. ... Und selbst wenn du eine große Null wärst? Ich liebe dich... Bitte bleibe eine große Null!" Solche Sätze auf der Mitte von Scherz und - für Hitler - unerträglichem Ernst. Sie erzeugen eine plötzliche Spannung in Sokurovs Bilderbogen. Die russischen Schauspieler - Elena Rufanova als Eva Braun, Leonid Mosgovoi als Adolf Hitler und Leonid Sokol als Josef Goebbels stehen vor der fast unlösbaren Aufgabe, sehr nah an ihren Originalen bleiben zu müssen, die jedermann kennt, und doch gerade das um den Preis des Geschmäcklerischen niemals zu dürfen. Sie sind dieser Gefahr nicht wirklich entgangen.

So haftet "Moloch" zuletzt etwas ähnlich Unfreies, Zwanghaftes, Inszeniertes an wie Hitlers Tafelrunde auf dem Obersalzberg.Im Eiszeit und in den Hackeschen Höfen. In den Hackeschen Höfen gibt es heute um 20 Uhr zur Premiere eine Einführung von Peter W. Jansen, außerdem eine szenische Lesung mit Liebesbriefen an Adolf Hitler.

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