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Kultur: Ex oriente lux?

Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen, sagt Kinkel.Goethe!

Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen, sagt Kinkel.Goethe! Ein Gedanke für endlose Nachmittage auf west-östlichen Diwanen.Also der Kinkel kennt das auch? Aber dann nennt er das Goethe-Wort ein "kulturphilosophisches Diktum" und sagt, daß er gerade aus Brüssel kommt.Der Außenminister hält einen Außenminister-Vortrag.Darüber, daß Islam nicht gleich Islam sei, daß alles gut werde - "ex oriente lux, warum nicht einmal wieder?" -, daß Extremismus und Verschwörungstheorien aus Unwissenheit stammen (und Not) und daß es keine Alternative zum Dialog gebe.Die Zeit, so Kinkel, stehe gegen die großen Vereinfacher, und er, Kinkel, sei zu allem bereit.

Eine friedliche Zuversicht senkte sich über Herz und Hirn der Zuhörer im Haus der Kulturen der Welt.Es gibt ja Eröffnungsvorträge, die sind wie Schlußworte.Sieben Diskutanten auf dem Podium.Das Thema dieser Veranstaltung, beginnt die junge Türkin links neben Kinkel, sei doch völlig verfehlt.Islam und Europa! Anstatt zu überlegen, wie sich hier noch eine neue Religion beheimaten läßt, hätte man lieber über die endgültige Trennung von Kirche und Staat nachdenken sollen.Schon Kierkegaard sagte, das Christentum sei eine Kreuzigung des Intellekts, und was für das Christentum gelte, so wolle sie an dieser Stelle ausdrücklich hinzufügen, gelte für andere Religionen erst recht.Ob sie wohl weiß, wie sehr Kierkegaard sich nach dieser Kreuzigung sehnte? Wieder glauben dürfen! Ob sie es verstehen könnte? Kinkel blickt überrascht und etwas wehmütig auf diese unverhoffte Inkarnation türkischer Aufklärung neben sich.Warum muß er immer nur mit den anderen reden? - Nein, sie, Arzu Toker, könne die Anerkennung des Islam nicht empfehlen.Sein Zivilrecht, Strafrecht und Erbrecht stünden eindeutig im Widerspruch zum Grundgesetz, und die Europäer mögen sich doch auf ihre eigenen positiven Traditionen zurückbesinnen.Die junge Türkin, früher Näherin, jetzt Journalistin, lehnt sich zufrieden zurück.

Alles Weitere übernimmt vorerst ihr Nachbar zur Linken, Professor Bazon Brock, Kulturwissenschaftler aus Basel, den die Diskussionsleiterin Irmgard Schwaetzer als Selbstfesselungskünstler und Vertreter einer radikalen "Ästhetik des Unterlassens" vorstellt.Beides sollte sich bald als falsch erweisen.Brock unterließ gar nichts.Zuerst schlug er Arzu Toker als Bundeskanzlerin vor, denn das sei überhaupt das Einzige, was dieses Land noch retten könne, die unverstellte Klarsicht einer Immigrantin.Wir wären doch alle gefangen in Wahnhaftigkeit! Zum Beispiel dieser Wahn des Sich-Kennenlernens und Miteinanderredens! - Kinkels Gesicht blieb wie auf einer Europaratssitzung fest in sich verschlossen.- In Jugoslawien kannten sie sich schon ewig, und miteinander geredet haben sie auch, als Nachbarn, als Eheleute, und was ist passiert? Nein, der Euphemismus der Politiker sei durch nichts gerechtfertigt.Kinkel blickt immer noch staatsmännisch gerade aus.Zivilisation bedeute Emanzipation vom eigenen Herkommen, bodenständiger Kultur und Religon: "Wir sind nicht gleich in kultureller Hinsicht, wir sind es nur in universeller Hinsicht!" Frei-demokratischer Beifall im Saal.Dies ist eine FDP-Veranstaltung.Und wer wollte dem auch widersprechen? Peter Scholl-Latour.Er wiegt mißvergnügt den Kopf.Warum hier alle nur reden würden, als läge das Europa der Bürgergesellschaft noch vor uns, es liegt längst hinter uns! Das nächste Jahrhundert werde religiös sein oder es werde gar nicht sein.Auf welcher Basis man denn überhaupt mit dem Islam sprechen wolle? Mit Religionen müsse man religiös reden.Und da fange das Problem doch schon an.Religion "ham wir hier nicht mehr".Dieses Europa sei eine atheistische Insel im religiösen Weltmeer, man solle das endlich mal begreifen.Atatürk sagte, es gebe viele Kulturen, aber nur eine Zivilisation, die westliche.Ganz richtig, resümiert Scholl-Latour, aber das gelte heute eben nicht mehr, schon weil die Menschenrechte längst ein Instrument des Imperialismus geworden seien.

Ist das die normative Kraft des Faktischen? Der Islamwissenschaftler Bassam Tibi weiß viel darüber.Er hat ja zwei Heimatstädte, Damaskus und Frankfurt.In Damaskus ist er geboren, in Frankfurt waren Horkheimer und Adorno.Dort las er auch Feuerbachs Religionskritik.Seitdem denkt Tibi über eine Synthese aus Frankfurt und Damaskus nach, über die Menschenrechte auf arabisch.Und plötzlich stehen die Menschenrechte dreifach im Raum - als unhintergehbare Normative der Zivilisation, als Herrschaftsinstrument des Kapitals, als notwendige Frankfurt-Damaskus-Synthese.Ebenso die Begriffe Zivilisation und Kultur.Religionen, Kulturen sind Folklore, sie gehören ins Museum!, ruft der Basler Selbstfesselungskünstler, zumindest solange es um die grundsätzlichen Fragen des Zusammenlebens gehe.Man sieht das sofort ein.Aber gibt es denn die reine Zivilisation, ohne kulturelle Beimengung? - Solange er sprach, hatte er recht.Thomas Mann bemerkte das einmal über Georg Lukcs.Es gilt für jede wirklich gelungene Diskussion wie diese im Haus der Kulturen der Welt.Solange jeder sprach, hatte er recht.

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