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Kultur: Expansionskurs

Berlin im Jahr 2017: Eine Currywurstbude nach der anderen musste schließen. Kein Milchschaum zischt mehr an jeder Straßenecke in die Kaffeebecher.

Berlin im Jahr 2017: Eine Currywurstbude nach der anderen musste schließen. Kein Milchschaum zischt mehr an jeder Straßenecke in die Kaffeebecher. Der Döner hat ausgedient. Stattdessen Kunst, Kunst, Kunst – wohin das Auge blickt. Der Tiergarten ist zum Skulpturenpark geworden, das Ampelmännchen trägt Palette. Die Stadt, sie lebt vom Augenschmaus allein.

Schon hat Berlin die größte Galeriendichte Europas, und noch immer sind die Scouts unterwegs und suchen die nächste Location – für die kommende Galerie, einen Non-Profit-Space, mancher sogar für eine Kunsthalle. Längst beschränken sie sich dabei nicht mehr auf Charlottenburg und Berlin-Mitte. Die Münchner Galerie Zink etwa eröffnet heute abend ihre Berliner Dependance in Kreuzberg (Schlesische Straße 27). Zugpferd für die Berlin-Premiere ist Yoshitomo Nara , der zusammen mit dem japanischen Architekten- und Designer-Team graf die raumfüllende Installation „Berlin Baracke“ realisiert hat (Preise auf Anfrage) . Viel Altholz wurde dafür in die 300 Quadratmeter große Etage mit Spreeblick geschafft und in verschachtelte Einbauten verwandelt. Die entstehenden Zimmer und Kabinette bilden den Rahmen für die Kinderbildnisse des Japaners, der mit seiner Mischung aus Comic, Kitsch und Kunst in seiner Heimat seit Jahren schon ein Star ist. Die großen Kulleraugen seiner Mädchen verheißen nur oberflächlich Unschuld. Der Betrachter spürt sofort eine unterschwellige Aggression, als würden die Schätzchen jeden Moment ordentlich zubeißen. Und passend zu seiner irgendwo zwischen Markt und Märchen oszillierenden Kunst, die längst die Merchandising-Industrie erreicht hat, gibt es zur Vernissage eine Bar und asiatische Suppe.

Die Galerie Zink ist nicht die einzige Neueröffnung an diesem Wochenende: Bereits gestern hat die Galerie Klara Wallner ihre Räume in einer anderen Ecke von Kreuzberg eingeweiht. Die Mitbegründerin des Galerienviertels rund um die Brunnenstraße ist, wie zuletzt die Galerien Jablonka und Julius Werner , in einen Gebäudekomplex in der Kochstraße 60 gezogen. Sie ist auf Expansionskurs und vergrößert ihre Räume von 70 auf 500 Quadratmeter, einschließlich großzügigem Showroom und Schaulager. Bereits am Tag vor der Eröffnung sind Andreas Golders großformatige Leinwände (8000 Euro) ausverkauft, zu gut trifft seine von Schrammen und Rissen durchzogene heftige Malerei den Zeitgeschmack. Hier ist ein Künstler am Werk, der mit großer Lust jede aufkommende Harmonie torpediert, der die Farbe zeitweise als Gegner anzusehen scheint, sie walzt, spritzt und kratzt und geschickt die Kunstgeschichte unterquirlt.

Im vierten Stock desselben Gebäudes wird Ende April die Kölner Galerie Michael Janssen eröffnen. Und auch die Galerie Sprüth Magers (Köln / München) peilt nach London nun ebenfalls Berlin an. Raum und Termin sind noch offen. Ebenso wie die Frage: Wie viele Galerien verträgt eigentlich eine Stadt?

Katrin Wittneven

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