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Kultur: Explosion der Farbe

Die Bremer Kunsthalle wagt einen neuen Blick auf die Münchner KünstlergruppeIra Lorf Brechend voll ist es in der Bremer Kunsthalle. Dabei haben wir einen gewöhnlichen Wochentag, überdies lockt draußen in den Wallanlagen die Frühlingssonne.

Die Bremer Kunsthalle wagt einen neuen Blick auf die Münchner KünstlergruppeIra Lorf

Brechend voll ist es in der Bremer Kunsthalle. Dabei haben wir einen gewöhnlichen Wochentag, überdies lockt draußen in den Wallanlagen die Frühlingssonne. Doch der Werberummel, mit dem die Ausstellung "Der Blaue Reiter" als event inszeniert wurde, trägt Früchte. In der geschäftigen Eingangshalle kommt der Besucher kaum zur Ruhe. Die wäre allerdings nötig, um sich auf die umfangreichen Informationen über den 1911 von Wassily Kandinsky und Franz Marc gegründeten Künstlerkreis einzulassen. Der "Blaue Reiter": Das waren zwei Ausstellungen und ein Buch - und die romantische Vorstellung, mit Kunst die Welt verändern zu können. Die Popularität der Bremer Ausstellung beweist, dass die Bilder, die aus dieser Utopie heraus entstanden sind, noch heute wirken - wenn auch nicht im ideellen Sinn der Künstler.

Beim ersten Gastspiel des "Blauen Reiters" in Bremen, im Frühjahr 1912, war von Begeisterung wenig zu spüren. Kunsthallen-Direktor Gustav Pauli, der sich bereits Ärger eingehandelt hatte, weil er die Impressionisten und van Gogh unterstützte, distanzierte sich von den "widerwärtigen Pinseleien". Die Hansestadt war die vierte von zwölf Stationen auf der Europatournee der ersten Ausstellung der Künstlergruppe. Nach der Eröffnung in der Münchner Galerie Thannhauser Ende 1911 reiste die Schau bis zum Sommer 1914 über Berlin, Bremen, Frankfurt und Hamburg bis nach Budapest und Helsinki. Wichtig wurde vor allem Berlin, wo der Schriftsteller, Musiker und Kunsthändler Herwarth Walden, der sich unermüdlich für die avantgardistische Kunst einsetzt, mit dem "Blauen Reiter" seine "Sturm"-Galerie eröffnet. Besonders Franz Marc und August Macke trieben, nun unterstützt von dem Organisationstalent Walden, die PR in eigener Sache voran. Das respektable Ergebnis, die Tournee, wird im Katalog jetzt erstmals genau dokumentiert - ein kunsthistorischer Leckerbissen.

Auf diese Wanderausstellung bezieht sich die größte Abteilung der Bremer Schau, die jedoch keine Rekonstruktion liefern will. Eine solche hat schließlich schon letztes Jahr das Münchner Lenbachhaus geleistet, das über die umfangreichste Sammlung von Werken der Künstlergruppe verfügt. Die Bremer Ausstellungsmacher wollen vielmehr die spezifischen Rollen der einzelnen Mitglieder illustrieren. Nach Namen gruppiert, finden sich neben Arbeiten der Initiatoren Kandinsky und Marc Werke von Gabriele Münter, Marianne von Werefkin, Alexej Jawlensky, August Macke und - eher an der Peripherie - Paul Klee, Alfred Kubin, Heinrich Campendonk, den Brüdern David und Wladimir Burljuk, dem Schweizer Jean-Bloé Niestlé und dem Amerikaner Albert Bloch.

Vieles, was hier gezeigt wird, ist hinlänglich bekannt: Marcs unschuldige Tiere, Kandinskys Weg in die Abstraktion. Auch herrschte an Ausstellungen zum Thema "Blauer Reiter" während der letzten Jahre kein Mangel. Dennoch gibt es Überraschungen. So Marcs "Akt mit Katze" von 1910, der sich von Matisses Fauvismus beeinflusst zeigt - und bei dem das Tier ausnahmsweise nur eine Nebenrolle spielt. Oder Niestlés Arbeit "Gartenrotschwänze im Weißdorn" (1909), die an japanische Farbholzschnitte erinnert. Wendet sich der Betrachter von diesem impressionistisch anmutenden Bild ab, blickt er auf Mackes Triptychon "Großer Zoologischer Garten" (1913), Tiere und typisierte Figuren in einem lichtdurchfluteten, farbigen Flächenstil - und versteht, warum sich Niestlé in der ersten Schau des "Blauen Reiters" trotz seiner Freundschaft mit Marc deplatziert fühlte. Anders als die Berliner "Brücke" ist der "Blaue Reiter" eben kein Zirkel mit einheitlichem Gruppenstil, sondern eine eher lockere Aktionsgemeinschaft.

Die zweite Ausstellung des Kreises präsentierte im Frühjahr 1912 unter dem programmatischen Titel "Schwarz-Weiß" in der Münchner Galerie Hans Goltz ausschließlich Zeichnungen und Druckgrafik. Daran sollen die Aquarelle und Zeichnungen von Klee, Kubin und Marc im Bremer Kupferstichkabinett erinnern. Außerdem sind hier alle vier Ausgaben des von Kandinsky und Marc herausgegebenen Almanachs "Der Blaue Reiter" zu bestaunen. Die Aufsatzsammlung, zuerst im Mai 1912 erschienen, gilt als bedeutendste Programmschrift der Kunst des 20. Jahrhunderts. Dies verdankt sie nicht zuletzt den über 140 Abbildungen, die Kunstprodukte unterschiedlicher Zeiten und Kulturen, Ethnografika, moderne Kunst und europäische Volkskunst, miteinander konfrontieren.

Den Höhepunkt der Bremer Schau beherbergt ein kleiner Raum: Hier wird der Almanach gleichsam zum Leben erweckt. Den Ausstellungsmachern ist es gelungen, einen großen Teil der dort abgebildeten Kunstobjekte zu beschaffen, die sie hier, in mehreren Reihen versetzt, dicht gestellt und gehängt, präsentieren. Bayerische Hinterglasbilder neben chinesischer Malerei, Rousseaus Gemälde "Der Hühnerhof" (um 1908) hinter einer Kameruner Schnitzarbeit und Kirchners Lithografie "Vier Tänzerinnen" (1912) neben der fast zwei Meter hohen Ahnenfigur aus Südborneo mit Federputz und Speer.

Für Kandinsky und Marc ist der "Blaue Reiter" Symbol einer künstlerischen Erneuerungsbewegung, die eine Epoche des "Großen Geistigen" einleiten soll. Macke steht dem Pathos der Freunde skeptisch gegenüber. Seine "Karikatur auf den Blauen Reiter" von 1913 zeigt Marc auf einem Kutschbock thronend, der - in Anspielung auf Waldens Einfluss - den Schriftzug "Sturm" trägt. Kandinsky sitzt in der Kalesche, sich selbst zeichnet Macke als dummen August, der die Pferdeäpfel aufkehrt. Bereits 1912 hatte er seinem Freund Marc geraten, zu arbeiten und nicht zu viel an den "Blauen Reiter" und an blaue Pferde zu denken: "Ihr seht mir sonst wahrhaftig zu blau." Doch alles kommt anders: Statt der großen Vergeistigung naht der Erste Weltkrieg, der das Ende des Künstlerkreises bedeutet und sowohl den Kriegsfreiwilligen Marc als auch Macke und Burljuk das Leben kostet.Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, bis 12. Juni. Katalog (DuMont Verlag Köln) 48 Mark, im Buchhandel 98 Mark.

Ira Lorf

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