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Kultur: Explosion der Kochbücher

Im Berliner Gorki Studio: V. Sorokins „Krautsuppe tiefgefroren“

Parzival sucht den Gral. Borschtsch à la Moskau, ein „Koch mit Amtsgewalt“, sucht Krautsuppe. Und das ist, alle heiligen Eide seien geschworen, viel wahnhafter. Denn besagte kulinarische Kostbarkeit gibt es tiefgefroren und in vielen Abwandlungen, sie wird seit Jahrzehnten geheimnisvoll verwahrt von erhabenen Meistern russischer Kochkunst. Aber das ist noch längst nicht alles. Krautsuppe in dieser Vollendung hat sich zur neuen Goldreserve in einer ökologisch bereinigten Welt gemausert. In ihr verkocht sind russische Seele und russische Geschichte, sie ist verantwortlich für die Raserei aller möglichen Ideologien und wird zum Ausgangspunkt für Betrug und Mord und Totschlag, für Fress- und Sauf- und Sexgelage.

Fürwahr ein teuflisches Gebräu. Wladimir Sorokin hat es in seinem Theaterstück „Schtschi – Krautsuppe tiefgefroren“ zusammengerührt; serviert wird es jetzt im Gorki Studio unter der Regie von Peter Kastenmüller. Alle Hoffnung, einer wenigstens mit Mühe nachvollziehbaren Geschichte zu begegnen, muss man fahren lassen. Menschen sind abgeschafft, fungieren nur noch als Statthalter und materialisierte Ableger kulinarischer Spezialitäten. Sorokin feiert die Explosion der Kochbücher, und dafür ist ihm kein Einfall zu schade, von noch in gebratenem Zustand kopulierendem Wild bis zur gefrorenen Spucke, die an die Wand knallt. Es gibt kein Halten in der wüsten Abfolge von grotesken Absurditäten, aber die sind dann eben doch mit Hohn und Spaß und Frechheit serviert. „Gefrorene Krautsuppe“ – ist das nun schlichter Unsinn, oder will der 1955 in Moskau geborene Dramatiker seinen Zuschauern hinterrücks eins auswischen?

Sorokin spielt mit allem, was diese verrückte Zeit so hergibt. Er pfeift auf Ernst und Würde und Anstand. Aber er weiß genau, was passiert ist und noch passiert, in Russland und anderswo, und zieht es nackt aus. Wer das aushält, mag einiges Vergnügen finden können, zumindest dann, wenn sich ein tapferes Ensemble der Sache mit schweißtreibender Hingabe annimmt. Peter Kastenmüller hat im Gorki Studio den Text nicht nur gerafft und auf manche Ungeheuerlichkeit verzichtet, er ließ dabei das weit verzweigte Geschehen auch auf einen einzigen Ort zusammenschnurren.

Gespielt wird hinter Plexiglas auf einem schmalen, von aufgeschnittenen Wänden begrenzten Korridor (Ausstattung Michael Graessner, Daniela Selig), einem Stück Welt mit Spiegeleffekten, auf dem die Gesetze der Logik, der Zeit und der Geografie nicht gelten. Sich hier zu tummeln, macht den Darstellern offensichtlich Spaß, sie sind mit schweißtreibender Hingabe dabei. Mitunter gelingt ein blitzgescheites Einverständnis mit hintersinnigen Kapriolen des Textes, aber dann bricht wieder die Ekstase wilder Tänze und ungehemmter Schreie durch. Vor der orgiastischen Zubereitung der Sorokinschen Krautsuppe haben die Darsteller jedenfalls keine Hemmungen – das hat eine Art wütende Vitalität. Oliver Masucci versucht sich an Borschtsch, er gibt dem platzend selbstbewussten Suppensucher einen Hauch Intellektualität. Anya Fischer spielt die Beischläferin Lisa, changierend zwischen wachsamer Zartheit und geschickt verborgener Verschlagenheit. Beide führen das Ensemble für den knapp zweistündigen Kochkurs an – ein guter Magen sei den Zuschauern ausdrücklich empfohlen.

Nächste Aufführungen am 25. und 26. Juni und am 4. Juli, jeweils 20 Uhr.

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