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Kultur: Express aus Hellerau

Hellerau bei Dresden, als Zentrum des modernen Ausdruckstanzes in Erinnerung, hatte ganz untänzerisch bodenständig mit der Möbeltischlerei begonnen, die Karl Schmidt im Jahre 1898 gründete. Durch frühe Mechanisierung und Standardisierung von Bauteilen expandierte das Unternehmen rasch.

Hellerau bei Dresden, als Zentrum des modernen Ausdruckstanzes in Erinnerung, hatte ganz untänzerisch bodenständig mit der Möbeltischlerei begonnen, die Karl Schmidt im Jahre 1898 gründete. Durch frühe Mechanisierung und Standardisierung von Bauteilen expandierte das Unternehmen rasch. Nach zehn Jahren konnte Schmidt in Hellerau eine hochmoderne Fabrik für 300 Arbeiter eröffnen. Wie die britische Arts & Crafts-Bewegung setzte er sich für eine Erneuerung des Kunstgewerbes ein: fabrikmäßig herstellbare Produkte, billig, aber solide. Im Geiste der Lebensreform sollten Arbeit, gesunde Lebensbedingungen und Kultur in der von Schmidt gegründeten Gartenstadt Hellerau zur Einheit werden. Seit 1908 firmiert das Unternehmen unter dem Namen "Deutsche Werkstätten Hellerau" und wurde zur Design-Legende.

Die Ausstellung "Lebensräume und Unternehmenskultur" soll seine 100jährige Geschichte in Erinnerung rufen. Sie ist im Berliner Willy-Brandt-Haus zu sehen und wurde von Fritz Straub, dem jetzigen Eigner der Werkstätten, initiiert.

Mit seinen Entwürfen befreite Karl Schmidt das bürgerliche Wohnen vom maskenhaften Prunk und der Schwere des Fin de siècle. Allerdings fehlt den Möbeln der Hellerauer Designer - neben Schmidt und Richard Riemerschmidt ab den zwanziger Jahren vor allem Bruno Paul und Adolf Schneck - die Leichtfüßigkeit und Eleganz, wie sie den Entwürfen von Bauhaus oder Art Déco eigen ist. Von Zeitströmungen bemerkenswert unberührt, wirken sie 1933 noch so erdschwer und karg wie 1903 oder 1913.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Hellerauer Werkstätten zum "Volkseigenen Betrieb", wurde die vormals manufakturmäßige Produktion stark ausgeweitet. Aus dieser Ära zeigt die Ausstellung Jugendzimmer in poppigen Farben und Polsterstühle, wie sie gewiß noch tausendfach in den Kellern ostdeutscher Kulturhäuser ruhen.

1992 übernahm Fritz Straub die abgewickelten Werkstätten. Nach einer schwierigen Startphase gelang es ihm, im Segment des gehobenen Innenausbaus Fuß zu fassen. Inzwischen können die neuen Werkstätten die Innengestaltung des Sächsischen Landtages ebenso zu ihren Referenzen zählen wie das aufgefrischte Interieur der Saarbrücker Spielbank. Straubs jüngster Wurf ist die Ausstattung des neuen Luxuszuges "Metropolitan" der Deutschen Bahn. Er wird von August als Non-Stop-Expreß zwischen Köln und Hamburg verkehren. In der Ausstellung gibt ein Musterabteil einen ersten Eindruck davon, wie die Hellerauer Werkstätten mit fein gemasertem Buchen- und Birnbaumholz im Fernverkehr der Bahn die Plastik-Ära beenden.

Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28, bis 30. Juni, täglich 10-18 Uhr. Katalog 25 DM.

FRANK PETER JÄGER

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