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Kultur: Extrem normal

„Sideways“-Regisseur Alexander Payne über Wein, Hollywood und einen Spontan-Set an der Hotelbar

Mr. Payne, ist ja sehr bemerkenswert, wie Sie gerade Ihren trockenen Martini bestellt haben – mit einer Olive, einer Zwiebel und ein paar Tropfen Wermut.

Ich mag meinen Martini eben sehr trocken. Buñuel hat mal gesagt, für den perfekten Martini sollte ein Sonnenstrahl durch die Wermutflasche in das mit Gin gefüllte Martiniglas scheinen.

Trinken als Philosophie: Das verbindet Sie wohl mit Miles, der Hauptfigur in „Sideways“, der einiges vom Wein erzählt.

Wobei ich keineswegs so ein Connaisseur bin wie er. Erst als ich auf Locationsuche die Weingüter im Santa Barbara Valley besuchte, fing ich an, mich auch praktisch mit dem Prozess des Weinherstellens zu beschäftigen. Dadurch hat sich meine Vorstellung von Wein allerdings auch etwas entmystifiziert.

„Sideways“ erzählt tragikomisch von zwei Männern in der Midlifecrisis. Arbeiten Sie an einem Generationen-Epos über Amerika? Ihre Filme deuten darauf hin.

Stimmt, „Election“ handelt von einem übereifrigen Highschoolmädchen, mein Debüt „Citizen Ruth“ von einer schwangeren Drogenabhängigen in ihren Zwanzigern, „About Schmidt“ von einem Rentner. Aber das ist eher Zufall. Ich will einfach menschliche Geschichten erzählen.

Wobei Sie vor allem die Verlierer und Unscheinbaren porträtieren – eine Art Chronist des „anderen Amerika“.

Ich zeige, was man in den normalen Hollywoodfilmen nicht sieht. Meine Geschichten handeln von komplexen menschlichen Figuren, abseits von Hollywood. Das ist uns in den letzten 20, 30 Jahren etwas abhanden gekommen.

Wie hat Sie das New-Hollywood-Kino der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre inspiriert?

Ich bin damit aufgewachsen. Ich bin 1961 geboren – und es hatte einen unglaublichen Einfluss auf mich als Teenager, zum ersten Mal auf der Leinwand eine weibliche Brust oder einen Joint zu sehen. Die Filme waren damals mutiger als heutzutage. Sie haben mich umgehauen. Für „Sideways“ wollte ich den Look und das Feeling dieser Filme haben. So habe ich einige lange Überblendungen und Splitscreens verwendet, eine Hommage an „The Thomas Crown Affair“.

Ihre Filme basieren auf Romanvorlagen, die Sie mit Ihrem Co-Autor Jim Taylor zu Drehbüchern umschreiben. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit?

Wir verabreden uns, und dann schließen wir zwei Keyboards an einen Computer-Monitor an. Seit meinem ersten Film arbeiten wir so zusammen – wir kennen uns seit Ende der Achtzigerjahre, damals lebten wir in einer WG und versuchten uns an ersten Scripts. Einen Zugang zu einer Geschichte bekomme ich nur, wenn wir auch das Drehbuch selber schreiben.

Die Sequenz über den Restaurantabend der vier Hauptfiguren ist sehr elegant und vielschichtig montiert.

Schön, dass Sie das sagen. Sie war sehr aufwendig zu drehen, allein dafür haben wir drei Tage gebraucht. Einerseits sollte man das tolle Dinner sehen – und wie sie es genießen. Zugleich geht es viel um Blicke und kleine Gesten und wie sich im Lauf des Abends die Konstellationen zwischen Miles, Jack und den beiden Frauen verändern.

Diese Lust am Detail verblüfft auch bei der Ausstattung und den Kostümen.

Meine Produktionsdesignerin Jane Stewart macht ihren Job so gut, dass man es im Idealfall gar nicht bemerkt. Nehmen wir mal an, wir planen eine Szene hier in dieser Bar. Zuerst müssten wir alles registrieren: Dort drüben in den Ledersofas die Gruppe alter Leute, die gelangweilt vor ihren Drinks sitzt, dann hinter den schweren Vorhängen die Hotellobby, ein paar Leute laufen vorbei, nicht viele. Dazu läuft schlechte Musik. All das muss man beobachten und dann nachstellen. So bekommen meine Filme fast etwas Dokumentarisches, auch wenn sie inszeniert sind. Wir drehen immer an Originalschauplätzen – auch „Sideways“ haben wir in echten Weinlokalen gedreht. Sogar die Flaschenetiketten sind echt.

Unlängst haben Sie in „Variety“ in einer „Declaration of Independents“ gegen gewisse Tendenzen des US-Kinos poleminsiert. Sie schlagen darin vor, „unabhängig“ nicht ökonomisch, sondern über die Rolle des Regisseurs zu definieren.

Heutzutage sind die großen Studios doch die wahren Independents, weil nur sie wirklich selbst entscheiden, was sie produzieren und zugleich sichere Vertriebswege haben. Aber es ist nicht wichtig, woher das Geld kommt. Independent heißt für mich, dass ein Film mit einer Stimme spricht: der des Regisseurs. Leider sind die meisten US-Filme banal und formelhaft und schielen nur auf das Einspielergebnis. Wir müssen die Zuschauer wieder ernster nehmen.

Das Gespräch führte Thomas Abeltshauser. Die Filmkritik zu „Sideways“ haben wir am Mittwoch veröffentlicht.

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