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Kultur: Falsche Proleten

Das Programm der Berliner Singakademie im Kammermusiksaal hatte es tatsächlich in sich.Sein metaphorischer Leitgedanke wurde durch kluge Konfrontation sichtbar: "Das neue Lied", das Psalmenvertonungen von Schütz, Bach und Distler in aller Unschuld und positiven kompositorischen Anstrengung fordern, und das in Eislers "Vier Stücken für gemischten Chor" von 1928 zum Thema des Singens selbst wird.

Das Programm der Berliner Singakademie im Kammermusiksaal hatte es tatsächlich in sich.Sein metaphorischer Leitgedanke wurde durch kluge Konfrontation sichtbar: "Das neue Lied", das Psalmenvertonungen von Schütz, Bach und Distler in aller Unschuld und positiven kompositorischen Anstrengung fordern, und das in Eislers "Vier Stücken für gemischten Chor" von 1928 zum Thema des Singens selbst wird."Wir singen etwas ganz anderes" singt der Chor da, "nicht wie Sie zu hören gewohnt sind." Wirklich hörte man die folgende, durchweg professionell dargebotene Musik, dann mit anderen, neugierigeren Ohren.

Trotzdem hatte man manchmal ein ungutes Gefühl, was den Umgang mit Eislers textgebundenen Kompositionen betraf.Diese Werke bergen einen Funktionszusammenhang, ohne den sie in Musealisierung absinken.Die collagierten Großmaul-Szenen vom Kurfürstendamm etwa funktionieren heute auf neue Weise, wenn zum Beispiel der Männerchor warnt: "Achtung, Medizin ist teuer." Wenn aber der gutbürgerliche Chor von 1998 singt: "Wir Proleten, wir haben nichts zu verlieren als unsere Ketten" - dann wird das neue Lied nicht nur zum alten, sondern auch zum falschen.

MATRIN WILKENING

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