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Kultur: Falten, klappen, rollen

Heute beginnt der Designmai. Und das Haus am Waldsee verwandelt sich in eine Wohnvilla zurück

Was wird sich in den nächsten zehn Jahren ändern in der Art, wie Menschen wohnen? „Nicht viel“, meint Giorgio de Gennaro vom Berliner Design-Label Cube. Schließlich würden wir heute nicht sehr anders leben als unsere Vorfahren. Das ist eine in ihrer Nüchternheit provokante Auskunft, erzählen doch die Räume, in denen der Architekt steht, in jeder Ecke vom Wandel, den das Wohnen alleine in den letzten achtzig Jahren erfahren hat.

Das Zehlendorfer Haus am Waldsee, 1922 als repräsentative Fabrikantenvilla erbaut und seit 60 Jahren Ausstellungsort für Gegenwartskunst, wird im Rahmen des heute beginnenden Designmais vorübergehend wieder zum Wohnhaus. 17 international erfolgreiche Berliner Designer haben die Räume und den Garten mit neuen Möbeln eingerichtet. Während das Festival unter dem Motto „Digitalability“ vor allem Umwälzungen durch digitale Fertigungsmethoden in den Blick nimmt, interessiert sich die Ausstellung „Full House“ für die Seite der Nutzer. „Die Leute sollen sich in ihrem Alltag angesprochen fühlen“, wünscht sich die künstlerische Leiterin Katja Blomberg. Gerne hätte sie an die ursprüngliche Zimmernutzung angeknüpft, musste aber feststellen, dass das gar nicht ging. Die räumliche Trennung von Arbeit und Freizeit befindet sich heute ebenso wie die zeitliche in Auflösung, und Designer fühlen sich zu Lösungen herausgefordert, mit denen sich Räume beliebig umdeuten lassen.

De Gennaro, der so bescheiden in die Zukunft blickt, präsentiert mit seinem zusammenklappbaren und abschließbaren Computer-Arbeitsplatz auf Rollen selbst einen solchen Entwurf. Daneben stehen die Faltstühle von Nils Frederking, die mit wunderbar choreographierten Scharnieren den Umbau zum sinnlichen Genuss werden lassen. Johannes Müller-Baum zeigt einen Küchenblock auf Rollen, in dessen Schieferplatte ein Kräutergarten eingelassen ist. Es herrscht Bewegung: Überall wird geklappt, gefaltet und gerollt. Werner Aisslingers Fertighauslösung „Loftcube“, die in zwei Wochen nachgeliefert wird, soll gar mit dem Hubschrauber über die Hochhausdächer des Planeten wandern können.

Nomadentum ist noch immer das große Thema Berliner Designer. Bei einer Stadt mit so viel Platz und so wenig Planungssicherheit kein Wunder. Den Zwang zum Improvisieren treibt Walter Musacchi mit seinem Sessel aus Schaumstoffstreifen und dem Beistelltisch aus gebündelten Gin-Flaschen auf die Spitze. Es wird recycelt, Stile werden wild gekreuzt. Die Reduktion aufs Wesentliche trifft auf den Spaß am Spielerischen. Das Büro „e27“ zeigt seine Kombination aus Wiege und Schaukelstuhl, die Mutter oder Vater augenzwinkernd zum Mitschwingen einlädt, zusammen mit weiteren formschönen Einfällen für die urbane Kleinfamilie – leicht umstellbar, abziehbar, umziehbar.

Zwischen all der Flexibilität bietet das von Sabina Nordalm eingerichtete Schlafzimmer einen Ruhepol. Ihr Bett ist von japanischer Schlichtheit, das geweißte und angeraute Eichenholz hat die Leichtigkeit von Schnee. Hier muss nichts noch dringend woanders hin. „Belebte Ruhe“ möchte Nordalm schaffen, die auch als Bildhauerin tätig ist. Sie genießt die Rolle der Anachronistin. „Der richtige Nomade braucht nicht viel“, sagt sie schelmisch. „Alles ist schon so wahnsinnig schnell, dass die Dinge nicht noch mit Rollen und Klappen beschleunigt werden müssen.“ Gerade wenn alles in Bewegung sei, wüchse doch wieder der Wunsch, sich zu entspannen, meint sie und bekennt: „Das Multifunktionale kann auch nerven. Immer diese Möglichkeiten!“

Am Beginn der Ausstellung zeigt Jürgen Mayer H. mit seinem Hersteller Bisazza eine andere Version von Beständigkeit: Mit silbern gleißenden Mosaiksteinen besetzte Möbel in einem schwarzen Raum, das Fenster verstellt von vier überdimensionierten geschichtslosen Büsten. Eine groteske Schreckensvision vom Neuen Bürgertum. Und Erinnerung daran, dass der Trend außerhalb Berlins wieder zum Repräsentativen geht.

„Full House“: Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 31. 5., tgl. 10-20 Uhr. Designmai-Veranstaltungen bis 20. 5. www.designmai.de

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