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Kultur: Familienangelegenheiten

Comeback nach 28 Jahren: Funk-Ikone Sly Stone hat seine Hits mit Promi-Gästen neu eingespielt

Es war einer jener magischen Momente, in denen Pop und Zeitgeschichte verschmolzen. Seit Tagen hatten die jugendlichen Protestierer in ihrer Zeltstadt ausgeharrt und dem Regen und dem Matsch getrotzt. Was genau den Campingplatz in ein Protestereignis verwandelte, ist umstritten. Manche sagen, es sei Vietnam-Veteran Country Joe McDonalds gewesen, der ein Wort mit vier Buchstaben gegen die Regierung skandierte. Der Moment aber, der das berühmteste Festival des 20. Jahrhunderts in eine umfassende Ekstase verwandelte, kam, als ein Sänger mit buschigen Koteletten und Glitzerbrille zum Mikrofon griff. Es war Sly Stone, das Festival fand 1969 in Woodstock statt.

Der Zeitpunkt für ein Revival ist gut gewählt. Abermals sitzen die Protestierer der Welt in Zeltstädten, so dass manche sich schon an Woodstock erinnert fühlten. „There’s A Riot Goin’ On“, der alte Sly- Stone-Titel taugt in diesem Sommer als Schlagzeile. Damals, in Woodstock, verwandelte er das Konzert in einen Mitmach-Workshop. Im Theater spräche man von der „vierten Wand“ zwischen Publikum und Bühne. Stone hatte sie eingerissen. „Wanna take you higher“, skandierte er immer wieder, angefeuert von Background-Sängerinnen und einer hypnotischen Orgel. Tausende sangen mit, wiegten sich, schüttelten die langen Haare. Mit der Zeit der Hippies ist Sly Stone seitdem untrennbar verbunden.

Seine dunkle Hautfarbe hob den 1944 in Dallas als Sylvester Steward geborenen Musiker deutlich von den meisten Blumenkindern ab. Denn die Hippies waren mehrheitlich weiße Mittelständler. Deren Musik mischte Stone mit dem Sound der schwarzen Ghettos. In den frühen Siebzigern schwang sich der Trompeter und Komponist zu einem der bedeutendsten Vertreter des Funk auf. Und neben Jimi Hendrix war er einer der einflussreichsten Afroamerikaner der Hippiebewegung. Mit Sly and the Family Stone, seiner 1966 gegründeten multiethnischen Band, verkörperte er perfekt den Traum von der Welt als großer Familie.

Ihre Musik ging über Hippie-Gesäusel hinaus. Mit Zeilen wie „Don’t call me Nigger, Whitey“ vom mehr als drei Millionen Mal verkauften Album „Stand!“ war Stone ein musikalisches Bindeglied zwischen schwarzen Bürgerrechtlern und weißer Alternativbewegung. Doch bald wurde es still um das Familienoberhaupt – wenn man von Meldungen über Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz absieht. Das letzte Studioalbum mit der Family Stone erschien 1983. Bei seinen raren Konzertauftritten verließ Sly die Bühne oft schon nach wenigen Stücken. Und seine Album-Ankündigungen blieben leere Versprechen – bis jetzt.

Die schlicht „I’m Back“ betitelte, neue Platte ist eine Familienfeier in größerem Kreise. Doors-Organist Ray Manzarek interpretiert den All-Time-Hit „Dance to the Music“ mit unverwechselbarer Handschrift, Funk-Veteran Bootsy Collins und Fuzz-Gitarrist Jeff Beck mischen ebenfalls mit. Neues Material gibt es kaum, stattdessen Neueinspielungen und Remixe von Klassikern wie „Family Affair“ oder „Everyday People“. Die prominente Besetzung trägt dazu bei, dass das Album eher wirkt wie eine Hommage von Musikerkollegen und nicht wie ein neues Produkt des Altmeisters.

Die Sixties sind vorbei. Heute lauscht die protestierende Jugend You-Tube- Clips. Das Familienmodell als alternative Staatsform ist in der Krise. Und Papa Stone hat musikalisch zur Rettung leider nichts Neues beizutragen.Bodo Mrozek

Sly Stone: „I’m Back. Family & Friends“ ist bei Cleopatra Records erschienen

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