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Fanatismus: Die unselige Rede vom heiligen Krieg

Kreuzzügler, damals und heute: Der Attentäter von Oslo sieht sich als Ritter des Tempelordens.

Am 13. August betrat Anders Behring Breivik erneut die norwegische Insel Utoya, diesmal unter Polizeibegleitung. Ungerührt zeigte er, wie er drei Wochen zuvor 69 Mitglieder der Workers Youth League exekutiert hatte. Die Tat sei „grausam, aber notwendig“ gewesen, meinte er vor Gericht. Breivik sieht sich nämlich als Milizionär in einem „Heiligen Krieg“ gegen die „Abschaffung der kulturellen Grundlagen Europas“.

Seinen Prozess hatte er schon vor dem Massaker geschildert, im Manifest „2083 – A European Declaration of Independence“. Ein Gerichtsverfahren, heißt es da, sei eine „ideale Bühne, um die Autorität der marxistisch-multikulturalistischen Regime zu untergraben“. Die Polizisten, die ihn begleiteten, sieht er als „Brüder“, die zum Großteil seine Meinung teilen. Und sich selbst sieht er als „Ritter der Gerechtigkeit“, der das Gericht auffordert, seinerseits „vor der Autorität der paneuropäischen Tempelritter PCCTS (Pauperes commilitones Christi Templique Solomonici) zu kapitulieren“.

Wer sich hinter diesem Kürzel verbirgt, ist unklar. Breivik spricht von einer neunköpfigen internationalen Organisation, die 2002 in London entstanden sein soll. Ihr Ziel sei „die politische und militärische Macht über multikulturalistische Regime im Westen“ sowie die Verurteilung und Bestrafung der „Verräter der einheimischen Völker Europas“. All das soll durch gezielte militärische Operationen erreicht werden. Auf der Webseite www.pccts.com, die mittlerweile gesperrt ist, war eine 3-D-Karte der USA mit konkreten Kriegsszenarien zu sehen: eine wahre Fundgrube für die Verschwörungstheoretiker im Netz.

Breiviks Manifest ist bekanntlich eine wüste Mischung aus Blog-Nachrichten und Wikipedia-Artikeln. In dem 1500 Seiten langen Text finden sich sowohl Zitate des Una-Bombers als auch von US-Präsident Thomas Jefferson und von Mark Twain. Die Hauptinspirationsquelle ist aber die Geschichte der Kreuzzüge und vor allem die des Tempelordens. Der Mörder von Oslo sieht sich als Kreuzritter in einem Krieg, in dem seit 1200 Jahren die westlich-christliche und die östlich-islamische Kultur um die Herrschaft Europas ringen. Wie heute die Guerillaaktionen der PCCTS, waren die Kreuzzüge in seinen Augen ein Verteidigungskrieg gegen den Aufmarsch des Islams. Um diese These zu untermauern, zitiert er Historiker wie Thomas Madden, der dem US-Planungsstab für den „Krieg gegen Terror“ angehörte, und Islamkritiker wie den Blogger Robert Spencer. Letzterer wurde durch seine wiederholten Warnungen vor der „Islamisierung“ der USA zu einem Meinungsführer in den konservativen Lagern auf beiden Seiten des Atlantiks. Spencer beschreibt die Kreuzzüge als „notwendige Reaktion des Westens auf die Expansion der islamischen Welt“.

„Im frühen Mittelalter war die islamische Welt in der Tat in der Offensive“, sagt der Historiker Alain Demurger, Spezialist für Kreuzzüge und Tempelritter. Zum ersten Mal in seiner Geschichte erlebte Europa eine Auseinandersetzung zwischen zwei „religiösen Räumen“. Das Konzept des Kreuzzugs sei allerdings eine spätere Erfindung. „Damals“, erklärt Demurger, „war eher von Pilgerfahrten die Rede. Der Begriff ,Kreuzzug’ hat im Lauf der Geschichte eine ambivalente Bedeutung gewonnen. Am Anfang ging es nur um die militärische Unterstützung der Christen im Orient und die Wiedereroberung Jerusalems. Später bezeichnete es den ,Verteidigungskrieg für den eigenen Glauben’. Erst in jüngster Zeit ist eine ,fanatische Expedition’ damit gemeint, was man sowohl der Rhetorik der Dschihadisten, als auch der des amerikanischen Präsidenten Bush entnehmen kann.“

Seit 9/11 genießt die Rede vom Kreuzzug enorme Popularität. Mit dem Anschlag auf das World Trade Center erklärte Osama Bin Laden den „Heiligen Krieg gegen die Kreuzzüge des Westens“. Die Rhetorik des Krieges gegen die „Mächte des Bösen“ wurde von den westlichen Regierungen aufgegriffen. Im Christentum stammt die Idee eines heiligen Krieges aus dem 12. Jahrhundert. Einer seiner geistigen Väter war Bernard de Clairvaux, der religiöse Pate des Tempelordens. „Wenn einer einen Missetäter umbringt, dann ist er kein Mörder, sondern ein Übel-Töter. Er rächt Christus an denen, die Böses tun“, schreibt Bernhard. Alain Demurger warnt vor einer allzu wörtlichen Interpretation. „Die Autoren des Mittelalters bedienen sich oft biblischer Zitate, die malerisch, aber irreführend sind. Ein unvorsichtiger Gebrauch dieser Zitate kann sehr gefährlich sein.“

Auch Breivik hat die Templer-Doktrin auf grausame Weise beim Wort genommen. Das zumindest werfen die heutigen Tempelritter dem Attentäter vor. Breivik ist nämlich nicht der Einzige, der sich auf die Lehre der „Schützer des heiligen Grabes“ bezieht. Trotz der offiziellen Verbannung von Philippe IV. im Jahr 1314 hat der Orden bis heute Zulauf. Allein im Internet finden sich tausende Verweise auf entsprechende Organisationen. Ein Gewirr von Abkürzungen: Ordo Supremus Militaris Templi Hierosolymitani (OSMTH), Ordo Militiae Crucis Templis (OMCT), Sovereign Military Order of the Temple of Jerusalem (SMOTJ), Ordo Templariorum Saecularis (OTS) ...

In Europa, Amerika oder Australien treffen sich die Anhänger dieser Organisationen in Templertracht mit Cape und Schwert, um der Erbschaft der Ordensgründer um den Ritter Hugo von Payns neues Leben einzuhauchen. Einige gehören den Freimaurern an, andere beziehen sich auf den „Ordre du Temple“ von Bernard-Raymond Fabré-Palaprat, dem selbst ernannten Nachfolger des letzten Großmeisters des Ordens, Jacques de Molay. Wieder andere sehen ihre Hauptaufgabe in karitativen oder politischen Aktivitäten, und die Anhänger der Berliner „Templer-Komthurey“ sind vor allem vom Mittelalter fasziniert, das sie in historischen Rollenspielen nacherleben wollen. Wobei die Mittelalter-Faszination auch in Mystery-Filmen auf ihre Kosten kommt, zu deren Figurenarsenal die Tempelritter seit jeher gehören. Diese Woche erscheint etwa Dominic Senas Action- Abenteuerfilm „Der letzte Tempelritter“ auf DVD, in dem Nicolas Cage gegen die Mächte des Bösen kämpft.

Viele moderne Templer haben sich von Breiviks Tat distanziert. „Es ist offensichtlich die Tat eines geistesgestörten Menschen. Ich sehe keine Beziehung zu unserem Verein“, sagt Gerhard Nübling, Kanzler des „Ordo Militae Crucis Templi“ in Baden-Württemberg. Der Orden, zu dessen Mitgliedern auch Helmuth Seliger zählt, Mitbegründer des rechtskonservativen Studienzentrums Weikersheim, veröffentlichte 2007 im Internet die „Ratzeburger Erklärung“. Darin verpflichtet man sich, „die abendländisch christliche Kulturgemeinschaft zu verteidigen“. Gewarnt wird vor sämtlichen totalitären und extremistischen Ideologien, besonders vor dem Islamismus, der „Juden und Christen mit Hass und Verachtung begegnet“.

Die Erklärung richte sich nicht gegen den Islam, stellt Nübling klar, sondern „gegen die fundamentalistischen Tendenzen innerhalb des Islams“. Sie provozierte jedenfalls begeisterte Leserkommentare: „Das ist einer der Gründe, weshalb ich ihren Siegelring trage! GOTT – FAMILIE – VATERLAND! Es lebe das christlich-jüdische Kulturerbe Europas!“, schrieb einer. „Klatsch, klatsch, klatsch!!! Gegen den muslimischen täglichen Terrorismus!!“, ein anderer. „Der Islam ist organisiertes Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, mahnte ein Dritter. Auf solche Reaktionen im Internetforum seines Ordens angesprochen, weicht Nübling aus. Es gebe in Deutschland eine Medienlandschaft, die Meldungen unterdrückt, wenn sie nicht ins politische Kalkül passen. Einige Medien wie die „Junge Freiheit“ seien bereit, auch über so etwas zu berichten.

Auf derselben Webseite schrieb damals der User „Kybelien“: „Noch führen wir keinen Kreuzzug, noch lassen wir uns den Muhammed-Jihad gefallen. Noch!“. Eine düstere Weissagung, vier Jahre vor Oslo.

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