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Shalalalalala. Deutsche Fans beim Singen.

© Thilo Rückeis

Fangesänge bei der WM 2014: Oh, wie ist das schön

Während und nach den Spielen der Fußball-WM wird viel gesungen. Um das Team anzufeuern, aber auch um Stress abzubauen. Kleiner Lauschangriff auf die deutsche Fankurve.

Es geschieht irgendwann zwischen der 70. und der 88. Minute. Die Spieler des WM-Finales sind bereits sichtlich ausgelaugt. Das Publikum vor der Leinwand in einer kleinen Neuköllner Bar wird immer hibbeliger, plötzlich fangen drei, vier Männer aus den vorderen Reihen an zu singen: „Auf geht’s, Deutschland, schieß ein Tor, schieß ein Tor, schieß ein Tooor“. Der halbe Laden stimmt mit ein und verschafft sich einen kurzen Entspannungsmoment. Ähnlich ging es wahrscheinlich vor tausenden weiteren Bildschirmen zu.

Singen hilft – nicht nur dem angefeuerten Team, sondern vor allem den Fans selber. Neben dem Stressabbau hat ihr Gesang, der häufig offensiv Richtung Grölen geht, die Funktion, den Zusammenhalt der Gruppe zu stärken. Eine akustische Umarmung – bis ganz nach oben in den letzten Rang. Gleichzeitig wird die Grenze zum gegnerischen Team und dessen Anhängern gezogen, die in den Liedern auch gern mal verspottet werden. So mussten sich die Brasilianer  während der Halbfinal-Klatsche aus der deutschen Kurve „Ihr seid nur ein Karnevalsverein“ anhören, sonst gern von Opponenten rheinischer Bundesligavereine eingesetzt. Das Stück ist auch insofern ein Klassiker des Fankurvengesangs, als es die Melodie des Beatles-Songs „Yellow Submarine“ verwendet, die von Fußballanhängern immer wieder gecovert wurde. „Zieht den Bayern die Lederhose aus“ ist wahrscheinlich die bekannteste Version.

Mit einer ebenfalls unverwüstlichen Melodie hat es das Traditional „Guantanamera“ in die Stadien geschafft: „Ihr werdet nie deutscher Meister“ oder „Wir singen Scheiß-FC-Bayern“ heißt es dann aus Tausenden von Kehlen. Wobei sich hier das Phänomen des „Zersingens“ zeigt, wie es der Freiburger Musikwissenschaftler Georg Brunner nennt. Weil die Pausen des Originals nicht beachtet werden, wird kurzerhand der Takt gewechselt. Egal! Hauptsache, es klingt schmissig und alle können mitsingen.

Allzu kompliziert geht es im deutschen Stadionliedgut ohnehin nicht zu. Die Stücke haben einen eher geringen Tonumfang, eine eingängige, oft wellenförmige Melodieführung und viele Wiederholungen. In der Bundesliga, wo die Anhänger meist von Megafon-Einpeitschern dirigiert werden, liegen das gesangliche Niveau und die textliche Boshaftigtkeit der Stücke höher als bei den WM-Touristen. So hörte man aus den schwarz-rotgoldenen Blöcken in Brasilien meist nicht mehr als ein schlichtes „Deutschlaaand, Deutschlaaand“ (wer bitte kennt den Ursprung der Melodie?) oder auch mal den „Aida“-Triumphmarsch. Eigentlich sympathisch: Während mexikanische Fans homophoben Mist sangen und die Argentinier die Brasilianer zur Melodie von „Bad Moon Rising“ von Creedence Clearwater Revival verhöhnten, liegen sich die Deutschen zu „Oh, wie ist das schön“ tagelang in den Armen.

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