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Kultur: Faune auf der Rast

Die Berliner Galerie Thomas Schulte überrascht mit einer Ausstellung zum Frühwerk von Robert Mapplethorpe

Je präsenter die Hauptwerke eines Künstlers sind, desto größer ist die Überraschung, wenn man unvermutet mit seinem frühen Schaffen konfrontiert wird. Die Gemälde etwa des sechzehnjährigen Picasso, von Francis Bacon vor dem Zweiten Weltkrieg oder von Andy Warhol in den fünfziger Jahren sind nur einige wenige Beispiele aus der unendlichen Anzahl von Fällen, bei denen es schwer fällt, das Davor mit dem Danach in Einklang zu bringen.

Auch die frühen Werke des Fotokünstlers Robert Mapplethorpe gehören dazu. Das beginnt damit, dass sich dieser zu Beginn seiner Laufbahn keineswegs als Fotograf verstand. Im Gegenteil: In einer seiner Biografien heißt es sogar, er habe die Fotografie „nie gemocht“. Eine bemerkenswerte Aussage für jemanden, der später als Fotograf weltbekannt werden sollte. Nach dem Studium am Pratt Institute in Brooklyn versuchte sich Mapplethorpe zunächst mit mäßigem Erfolg als Maler, danach konzentrierte er sich auf Collagen, allerdings ohne dem schon damals recht angestaubten Genre etwas nennenswert Neues hinzuzufügen. Die Bilder, die er verwendete, entnahm er Büchern und Illustrierten, auch das war bereits eine gängige Methode. Ab 1971 – Mapplethorpe war 25 Jahre alt – änderte er dann sein Verfahren und begann, selbst Fotos zu machen, genauer: Polaroids. Einen Teil der überwiegend schwarz-weißen, ungefähr acht mal elf Zentimeter kleinen Bilder verarbeitete er auf gewohnte Weise weiter, andere ließ er unversehrt – als hätte er zu diesem Zeitpunkt schon geahnt, dass hier seine große Zukunft liegen würde.

Dabei unterscheiden sich diese frühen Aufnahmen noch grundsätzlich von den streng komponierten, perfekt ausgeleuchteten Fotografien, mit denen er später berühmt werden sollte. Inszenieren seine späteren Aufnahmen den Körper als menschliche Skulptur, wirken die Polaroids wie Schnappschüsse, die Mapplethorpe aus einer Laune heraus von seinen Freunden machte. Tatsächlich sind es Menschen aus seiner unmittelbaren Umgebung. Allen voran die junge, kurzhaarige Patti Smith, mit der sich Mapplethorpe über mehrere Jahre eine Wohnung teilte: Sie steht am Fenster, schaut melancholisch nach draußen oder fixiert frontal aufgenommen unverwandt die Kamera (6000 Euro). Die Musikerin taucht mehrfach auf in der circa drei Dutzend Werke umfassenden Serie, die zurzeit in der Galerie Thomas Schulte zu sehen ist . Und wenn der Künstler ihrer einmal nicht habhaft wurde und auch sonst niemand in der Nähe war, den er hätte vor die Kamera zitieren können, dann fotografierte er sich eben selbst: mal als jungen ausgelaugten Mann mit müdem Blick, mal als König im eigenen Studio, mit Spiegel und Fotoapparat, die er als seine Insignien im Bild arrangierte (8000 Euro).

Dabei herrschte kein Mangel an geeigneten Modellen im Atelier des blendend aussehenden Fotografen. Freunde und Liebhaber, sich küssend oder nackt und ermattet daliegend – so richtig züchtig ging es nicht gerade zu in dieser wilden Wohngemeinschaft des überkandidelten, glamourös-subkulturellen New York der siebziger Jahre. Einen einheitlichen Stil freilich sucht man in den Bildern vergebens.

Manchmal erscheinen sie wie schnell aus der Hüfte fotografiert, dann wieder drängt Mapplethorpe seine Akteure in Haltungen und Posen, welche an die antikisierende, homoerotische Fotokunst der Italienreisenden des ausklingenden 19. Jahrhunderts erinnern (5000 Euro). Wie zum Beispiel David Croland, ein Freund Mapplethorpes, der 1974 am Sideboard stehend aufgenommen wurde. Standbein, Spielbein, den Oberkörper im Kontrapost, das Gesicht ins Profil gedreht – ein solches Foto ähnelt den Bildern eines Wilhelm von Gloedendorf sehr. In der Spannung von Beiläufigkeit und kunstvollem Arrangement spürt man die Unsicherheit, die eine Übergangsphase charakterisiert und von der noch längst nicht klar ist, ob sie zum Erfolg oder zum Scheitern führt.

Darin liegt denn auch der große Reiz dieses Konvoluts. Wer den klassischen Mapplethorpe kennt, begegnet hier dem Anti-Klassischen, dem Mapplethorpe auf dem Weg zu Mapplethorpe. Die Anklänge an griechische Skulpturen, die „Faune auf der Rast“, die „Denker“, auf der anderen Seite die Lederuniformen, die Ketten und Fesselungen, dies ergibt im Ganzen eine ziemlich krude Mischung - und eine Anleitung zum Sehen. Es ist eine Dekonstruktion des Bekannten ins diffuse frühe Unbekannte hinein, eine Art künstlerische Rolle rückwärts, was aus der Sicht der Nachlassverwalter immer auch ein Wagnis bedeutet.

Dass diese Fotos bislang so selten gezeigt wurden, in Deutschland überhaupt erst ein einziges Mal, hat jedoch noch andere, nämlich konservatorische Gründe. Polaroids sind naturgemäß nicht nur Unikate, sondern auch extrem lichtempfindlich. Um sie vor dem Vergilben zu schützen, mussten sie mit einer eigens entwickelten Tinktur behandelt werden. Und das braucht seine Zeit, so wie es seine Zeit braucht, zu begreifen, dass es einen Mapplethorpe vor Mapplethorpe gab. Ulrich Clewing

Galerie Thomas Schulte, Mommsenstraße 56, bis 16. November; Montag bis Freitag 11-18 Uhr, Sonnabend 11-15 Uhr.

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