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Kultur: Faust muß Cola trinken

"Goethe und unsere Zeit": Katharina Mommsens Eröffnungs-Vortrag stand gleichsam als Mahnung über der 76.Hauptversammlung der Goethe-Gesellschaft, die am Sonnabend in Weimar zu Ende ging.

"Goethe und unsere Zeit": Katharina Mommsens Eröffnungs-Vortrag stand gleichsam als Mahnung über der 76.Hauptversammlung der Goethe-Gesellschaft, die am Sonnabend in Weimar zu Ende ging.Eine Mahnung an die 1000 versammelten Literaturwissenschaftler und Goethe-Liebhaber aus 31 Staaten, auch im Jahr des 250.Geburtstages des Dichters nicht die heutige Rezeption seiner Werke zu vernachlässigen.Das ging nicht ganz harmonisch ab.Schon die umstrittene "Faust"-Inszenierung von Michael Gruner am Deutschen Nationaltheater sorgte für Zündstoff und bei der Zusammenfassung der Tagungsergebnisse am Sonnabend für einen Lacherfolg: Eingedenk des zur Cola-Dose greifenden Dr.Faust und eines Cabriolet-fahrenden Mephisto forderten einige Liebhaber eine Aufsichts- und Kontrollfunktion der Goethe-Gesellschaft für "werkuntreue" Inszenierungen.Im Versuch, sich von Gustaf Gründgens abzugrenzen, erkannten sie eine unzulässige Verfälschung des Goethe-Textes.Die Diskussion paßte zum Motto "Goethe und das 20.Jahrhundert.Das Vergangene als das Zukünftige?".Professor Tschong-Dae Kim, Präsident der Koreanischen Goethe-Gesellschaft, resümierte die Diskussion um "Goethe in Japan" und unterschied sich in seinen Ausführungen vor allem in einem von seinen Vor- und Nachrednern: Er nahm den deutschen "Olympier" leicht.Ein Umgang, den auch die Japaner für sich entdeckt haben, indem sie, wie Tschong-Dae sagte, Goethe vom Podest auf die Ebene des Volkes herunterholten.Davon zeugte auch ihr Interesse an der Kopie von Goethes Gartenhaus im Ilmpark.

In Weimar kam die Beachtung der Goethe-Rezeption Japans jedoch nicht über ein Schmunzeln hinaus.Selbst Professor Tschong-Dae Kim konnte es sich nicht verkneifen, als er die japanische Lesart des "Verweile doch"-Motivs schilderte: Hier ist der Teufel eine Mephistophela, eine 99jährige Bettlerin namens Komachi, der man nachsagt, sie sei einst die schönste Frau gewesen.Faust, der junge Dichter, lebt nur im schönen Traum und stirbt in der Vorahnung des höchsten Augenblicks: "Er ist gekommen.Der Augenblick, auf den ich neunundneunzig Jahre gewartet habe.Ich will es dir sagen, Komachi.Du bist schön, du bist die schönste Frau der Welt." In anderen Dichtungen erscheint Faust mal als müder Büroarbeiter, der sich Abwechslung herbeisehnt, und mal als Biochemiker, dessen Klon-Wesen in einem Krieg mit den Menschen die gesamte Erde zerstören."Nach dem Vortrag von Professor Yoshito Takahashi hatte ich den Eindruck, Goethe müßte doch schon einmal in Japan gewesen sein", sagte Professor Tschong-Dae Kim.

Die Goethe-Gesellschaft wurde 1885 in Weimar gegründet.Sie hat heute etwa 4500 Mitglieder in 49 Staaten und ist die "Muttergesellschaft" für 24 ausländische Goethe-Gesellschaften.In Deutschland gibt es derzeit 52 Ortsvereinigungen.Ein Problem der Goethe-Gesellschaft blieb in Weimar allerdings unübersehbar: der Mangel an Nachwuchs.Die Diskutanten schmorten im eigenen Saft, und der Horizonterweiterung diente allein der Austausch innerhalb der 24 nationalen Goethe-Gesellschaften.19 davon wurden erst in den vergangenen fünf Jahren gegründet.Für den neugewählten Präsidenten Dr.Jochen Golz, Direktor des Weimarer Goethe- und Schiller-Archives, steht neben einer stärkeren "Weimarisierung" der Goethe-Gesellschaft der Kontakt mit Rußland im Vordergrund seiner künftigen Arbeit.

Golz hatte sich mit elf Stimmen gegen den Direktor des Düsseldorfer Goethe-Museums, Volkmar Hansen, durchgesetzt und löst den nach zwei Amtsperioden scheidenden Präsidenten Werner Keller ab.Seine spezifischen Erfahrungen als Ostdeutscher sollten auch seine Amtsführung prägen, kündigte Golz an.

JÖRG VÖLKERLING

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