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Extravagant. Peter Hein.

© Julia Hoppen

Fehlfarben: „Ich bin Gebrauchslyriker“

Das achte Fehlfarben-Studioalbum in 30 Jahren ist erschienen. Sänger Peter Hein spricht im Interview über Geld, Wut, Bier und darüber, warum Berlin eigentlich gar keine richtige Großstadt ist.

Herr Hein, das neue Fehlfarben-Album heißt „Xenophonie“. Wie kam es zu diesem seltsamen Titel?

Es war auch Bier im Spiel. Ich hatte die Idee im Gespräch mit unserem Produzenten Moses Schneider. Von den langen, lustigen deutschen Titeln hatte ich genug, also habe ich nach einem Wort gesucht, das es eigentlich gar nicht gibt und das irgendwas mit Sound zu tun hat. So kam ich auf „Xenophonie“, was nicht leicht durchzudrücken war.

Wie haben Sie die Band überzeugt?

Basisdemokratie. Alle machen, was ich sage (lacht). Nein, es gab auch Gegenvorschläge, aber es sollte einfach mal etwas anderes sein.

Gleich geblieben ist der Produzent. Moses Schneider war auch 2010 beim Vorgängeralbum „Glücksmaschinen“ dabei.

Er wollte das machen, wofür wir sehr dankbar sind. Wir haben ja früher eigentlich nie mit Produzenten zusammengearbeitet, die auch wirklich welche waren. Das Gute an Moses Schneider ist, dass er einem zwar reinredet, aber man merkt es gar nicht.

Sie haben dieses Mal in den legendären Berliner Hansa-Studios aufgenommen.

Es war Schneiders Idee, dorthin zu gehen. Was sich hinter dem Namen Hansa-Studios verbirgt, wusste ich gar nicht. Ist ja auch wurscht. Der Geist von Iggy und der Geist von Bowie treiben es nur noch im Aufzug, die koksen da wie Sau.

Haben Sie die neue Platte wieder komplett live eingespielt?

Ja, drei bis sechs Durchläufe gab es für jedes Stück. Räumlich ist man getrennt, kann sich aber sehen. Jeder durfte seinen Verstärker so weit aufdrehen wie er wollte. Ich stand in einer Nebenkammer und habe mitgesungen. Bei vier, fünf Stücken habe ich den Text noch im Studio zu Ende geschrieben, während die anderen geübt haben.

Das Album ist sehr druckvoll.

Das kommt vom Live-Spielen, aber auch daher, dass wir alle immer besser werden. Was andere Bands mit Üben schaffen, erarbeiten wir uns eben in zwei, drei Jahren Live-Spielen. Wir haben ja keine Zeit, Lust und Plätze zum Üben.

Sie haben keinen Proberaum?

Nein. Ich finde das Konzept Proberaum völlig überbewertet und lehne das ab. Für das Geld bekommst du in der Stadt eine gute Wohnung. Die letzte Proberaum- Miete habe ich vor 20 Jahren bezahlt. Außerdem: Wo sollte unser Proberaum denn sein, in Leipzig oder im Odenwald? Wir wohnen zu weit verstreut.

Zum rockig-drängenden Sound passen auch Ihre Texte, die wütend wie eh und je sind.

Ich finde, dass ich eigentlich immer alberner werde. Wenn man jahrzehntelang gegen den ganzen Mist anschreit und sich nie etwas ändert, könnte man natürlich aufgeben. Zumal man noch nicht einmal etwas damit verdient. Trotzdem lasse ich mir nicht von den Umständen vorschreiben, ob ich noch Musik machen darf oder nicht. So behält man dann eben die Themen, die man kann: politische Sportlieder und lyrische Protestsongs.

Aber keine Liebeslieder mehr.

Ja, die gab es früher auch mal. Aber wenn es einem da okay geht, gibt es nicht mehr so viel zu sagen.

An einer Stelle singen Sie: „Das Frühwerk wie ein Mühlstein um den Hals“. Wieso sind Sie nicht einfach stolz darauf, 1980 mit „Monarchie und Alltag“ einen Klassiker geschaffen zu haben?

Weil jedes Album, das man danach macht, immer daran gemessen wird – und angeblich nie daran heranreicht. Als wir uns vor zehn Jahren wieder zusammengetan haben, meinten irgendwelche angeblich maßgeblichen Hanseln aus dem Business, das könnten wir doch jetzt nicht bringen. Die erteilten uns quasi Berufsverbot. Inzwischen sind die wahrscheinlich alle wegrationalisiert worden. Es ist auch schön, dass die wenigen Versuche einiger intelligenter junger Leute, die 20 Jahre nach uns etwas Ähnliches gemacht haben, nicht ganz in die Hose gegangen sind.

Wie gefallen Ihnen die Fehlfarben-beeinflussten Bands?

Eigentlich habe ich das nicht so mitbekommen. Ich müsste mir die Alben ja kaufen. Ich weiß zwar, dass es die alle gibt, aber wirklich wahrgenommen habe ich nur die Bands, die ich persönlich kenne, so wie Tocotronic. Blumfeld habe ich in den späten Neunzigern kennengelernt und fand die dann auch gut. Ähnlich war es mit den Sternen.

"Ich bin jetzt selbstständiger Prekariatshilfsarbeiter"

Haben Sie beim Texten das Gefühl: Dieses Lied muss ich jetzt schreiben?

Nein, die Lieder hat die Band ja schon geschrieben, und da müssen Texte drauf. Das ist alles, was ich muss. Da sind Rechnungen zu bezahlen, weil Studiozeit gebucht wurde. Ich mache Gebrauchslyrik. Ich kann ja auch nichts dafür, dass sich in 30 Jahren nichts tut und es letztlich egal ist, aus welchem Jahr ein Text stammt. Eigentlich hatten wir ja die Idee: Wir machen das wie in Jamaika, wo immer wenn etwas passiert ist, eine neue Reggae-Single erschienen ist. Jede Woche, statt „Bild“-Zeitung.

Jetzt gibt es das Internet.

Ja, aber das Schöne an Singles ist ja auch, dass man was in der Hand hat. Theoretisch hätte ich nichts dagegen, jede Woche einen Song ins Netz zu stellen. Allerdings müsste das jemand für uns machen, weil wir das technisch nicht können. Auf der anderen Seite frage ich mich natürlich, warum man sich noch die ganze Mühe macht mit einem Album plus Heftchen und Digi-Pak, wenn das sowieso keiner kauft. Es dient eigentlich nur noch dazu, dass man es Konzertveranstaltern hinhält und sagt: Schau mal, es gibt ein neues Produkt, buch uns bitte, wir wollen spielen.

Wie ist es mit Ihrer persönlichen ökonomischen Situation? Sie hatten ja seit Ihrer Lehrlingszeit einen festen Job beim Kopiererhersteller Rank Xerox in Düsseldorf und wurden 2003 wegrationalisiert.

Ich bin jetzt selbstständiger Prekariatshilfsarbeiter, mache Büroarbeiten, ein bisschen Buchhaltung. Mit meinem alten Job, Logistik und EDV-Service, hat das nichts zu tun.

Die Arbeitswelt thematisieren Sie auf dem neuen Album unter anderem in dem Song „Arbeitsagentur“. Verarbeiten Sie darin eigene Erfahrungen?

Nein, nicht nur. Ich kenne inzwischen fast niemanden mehr, der mit denen noch nichts zu tun hatte. Es ist immer persönlich und allgemein. Man muss ja nur in die Zeitung schauen und schon fallen einem die Themen ein.

Uns ist aufgefallen, dass Sie ganz schön Berlin-feindlich sind. „Überflüssige Stadt“ haben Sie uns mal genannt. Entspringt das ihrer grundsätzlichen Dagegen-Haltung?

Berlin ist ja gar keine richtige Großstadt, sondern nur lauter aneinandergereihte Dörfer mit riesigen Wiesen und Brachen dazwischen. Da muss man die ganze Zeit nur fahren. Ich bin ja oft hier gewesen, auch zu Mauerzeiten. Damals war das schon total aufregend, aber trotzdem irgendwie scheiße.

Sie waren eine Zeit lang als Biertester unterwegs. Wie ist die Bierlage in Berlin?

Trübe wie immer. Charlottenburger, Engelhardt und Schultheiss sind seit jeher furchtbar.

Trotzdem trinken Sie gerade ein Schultheiss.

Ich hatte keine Wahl, die haben hier sonst nur Weißbier. Wahrscheinlich liegt es einfach am Berliner Wasser, dass das Bier so schlecht ist.

„Xenophonie“ erscheint bei Tapete Records. Konzert: 24. Mai, 20 Uhr, Festsaal Kreuzberg.

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