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Kultur: Feiern und feuern

Der Swing der Ich-AG: Erik Gedeons „Hartz-IV-Musical“ in Dresden

Vor der Semperoper singen 4000 Ball-Zaungäste bei Glühwein gegen die Kälte den Freiheitschor aus „Nabucco“, während im Staatsschauspiel die Sehnsuchtslieder des Phantoms der Oper erklingen. Geplant hat das Zusammentreffen (angeblich) keiner, aber schlagend ist es doch, dass der erste Dresdner Opernball nach 67 Jahren 2300 Wohlhabende (bei Preisen bis zu 1400 Euro) in die Semperoper lockt, während die emotionale Not von Arbeitslosen in Erik Gedeons „Hartz IV – Das Musical“ auf der Bühne des Staatsschauspiels zum Thema wird.

Selten hat eine Dresdner Aufführung bereits vor der Premiere so viel Aufmerksamkeit erfahren. Weil sie den Versuchen im Theater, sich mit aktuellen Problemen nicht nur vor der Folie von Klassikern zu beschäftigen, eine neue Form hinzuzufügen versprach. Lange kam die Arbeitswelt – bei Autoren wie Falk Richter, Réne Pollesch, Gesine Danckwarth und Martin Heckmanns – vor allem mit den Problemen ihrer Leitungsetagen auf die Bühne. Man wandte sich, in Nachfolge von Urs Widmers „Top Dogs“, den der Überhitzung der New Economy zum Opfer gefallenen Topmanagern zu. Mittlerweile ist das gesamte Spektrum der Arbeitswelt ins Rampenlicht gerückt: Arbeitslosigkeit, Arbeitsamt und Hartz IV.

Letztes Jahr begann alles mit einem Eklat: Ebenfalls im Staatsschauspiel Dresden brüllte – in Volker Löschs Inszenierung von Gerhart Hauptmanns „Die Weber“ – ein aus Arbeitslosen gebildeter Laienchor seine politisch durchaus nicht korrekten Vorwürfe von der Bühne. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Moritz Rinkes „Café Umberto“ zeigte den Andalusier Umberto, der in der Cafeteria eines Arbeitsamtes seine Ich-AG aufbaut. In Essen kam das Stück „Die Vollbeschäftigten“ als „musikalischer Arbeitsvermittlungsversuch“ auf die Bühne, in Bochum versuchten sich in Roland Schimmelpfennigs „Angebot und Nachfrage“ zwei Menschen an sehr individuellen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Und Andreas Neu ließ, wiederum in Dresden, in seinem „Es tut uns leid, sie sind gefeuert“ einen Familienvater Job, Frau und Haus verlieren.

Nun steht Erik Gedeons Musical-Nummernrevue „Hartz IV“ in Dresden auf dem Programm. Sieben Personen warten in einem heruntergekommenen Arbeitsamt. Der Anmeldeschalter ist mit Brettern vernagelt, die Uhr an der Wand hat ihre Zeiger verloren, und die Nummernanzeige, die die Arbeitslosen von Zeit zu Zeit zum Schlangestehen verleitet, rast leer. Kein Sinn, keine Hoffnung, nur Trübsal, Ticks und Eigentümlichkeiten. Da gibt es ein bürgerliches Paar, das sich gegenseitig an die Kehle geht, einen jungen Mann mit Springerstiefeln, der immer sein Klappmesser anhaucht, einen graumeliert Langhaarigen im Parka, der seine Bibel ableckt, eine Muslimin und eine Schwangere. Menschen als sozialer Sprengstoff, die entweder wegschauen oder sich eifrig beteiligen, wenn einer von ihnen zusammengeschlagen wird.

Natürlich muss sich dieser skurrile Abend an Franz Wittenbrinks thematischen Liederabenden und Christoph Marthalers traumklaren Singspielen messen lassen. Doch wo Wittenbrink seine Fundstücke musikalisch befragt, benutzt Gedeon sie nur als Illustration. Wenn das Paar handgreiflich wird, erklingt „Du bist mir ganz nah“ aus dem „Phantom der Oper“, wenn die Muslimin sich als Ich-AG begreift, singt sie „Ich gehör nur mir.“ „Wenn ich einmal reich wär“ passt gleich mehrmals, und Sehnsüchte sind beim „Memory“-Song aus „Cats“ gut aufgehoben. Gedeon setzt gegen Marthalers doppelbödige Poesie die kräftige Groteske. Wenn die Hochschwangere Ratten auf einem tragbaren Grill als Speisen anbietet, oder die gutbürgerliche Ehefrau Essensreste als „Halbpreis-Ware“ anpreist, sind das allzu plakative Ich-AG-Versuche. Auch der Schluss misslingt: Erst begehen alle in einem großen Musical-Potpourri Selbstmord, dann erkennen sie mit Abba, dass die Welt ohne Musik nichts wäre. Also findet man sich und die Hoffnung in der Musik, und ein zuvor abwehrender deutscher Bürger reicht der Muslimin einen wärmenden Handschuh.

Gedeons „Hartz-IV“-Musical verheddert sich zwischen Entertainment und Groteske, Betroffenheitsposse und Best-of-Musical. Ein ambivalenter Abend: Mit Musik geht zwar einiges besser, aber nicht alles wird gut.

Hartmut Krug

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