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Kultur: Feiertags-Aufgabe

Tausendfach ist gescherzt und gelästert worden, daß der 17.Juni am Ende nur noch ein Tag Betriebsurlaub der alten Firma Bundesrepublik war: genutzt zur Fahrt ins Grüne, ins Blaue - gewiß aber nicht mehr zum Gedenken an die "Brüder und Schwestern" im Lande "Drüben".

Tausendfach ist gescherzt und gelästert worden, daß der 17.Juni am Ende nur noch ein Tag Betriebsurlaub der alten Firma Bundesrepublik war: genutzt zur Fahrt ins Grüne, ins Blaue - gewiß aber nicht mehr zum Gedenken an die "Brüder und Schwestern" im Lande "Drüben".Und weil jeder wußte, wie hohl angesichts der Realität die offiziösen Reden an jenem Tag klangen, schien es nur konsequent, daß der Feiertag nach der Wiedervereinigung zugunsten des vermeintlich aktuelleren 3.Oktobers alsbald abgeschafft wurde.Eine Entscheidung, bitter wohl nur für die überlebenden Opfer des Aufstandes 1953.

Doch war der Beschluß tatsächlich so konsequent? In Wahrheit wurde er weniger mit Blick auf das (un)politische Freizeitverhalten der alten Bundesbürger getroffen, vielmehr aus Scheu und Zweifel, ob den neuen Mitbürgern die Erinnerung an ein Stück in der DDR naturgemäß verdrängter und womöglich peinlicher eigener Historie aus westlichem Gewohnheitsrecht weiter vorgehalten werden dürfe.Allerdings ist Geschichte, ist Geschichtsbewußtsein keine Frage zuerst des Takts.So waren nicht nur die Lebens- und Freiheitschancen nach 1945 in Deutschland West und Ost ungleich verteilt.Zur Gnade der westlichen Geburt gehörte das Geschenk, aber auch die Erziehung zur Demokratie, die reeducation, die von den befreienden Besatzungsmächten mit (bald nachlassender) Insistenz betrieben wurde.Eine ähnliche Rolle konnten die schnell als "Besserwessis" verschrienen oder verlachten Altbundesbürger sich nicht anmaßen.

Allerdings bedeutet für die Menschen in den neuen Bundesländern die Selbstverwandlung und Selbstumwertung, das Neufinden einer pluralen Identität aus eigener Kraft ein gesellschaftliches Experiment an der Grenze zur Selbstüberforderung.Und weil die D-Mark und der tollkühn erhoffte Aufschwung Ost ein Stück Gegenwart und Zukunft nicht von alleine richten, steckt das halbe Land im Dilemma.Die Vergangenheit der DDR ist, wie alle jüngste Vergangenheit, die unsere Gegenwart prägt, nicht wirklich vergangen - und die Auseinandersetzung mit ihr kann nicht weiterhin an die Gauck-Behörde oder ein paar Historiker (oder Polemiker à la Hintze & Hauser) deligiert werden.Die PDS vor allem wird sich hierum nicht mehr drücken können.Und die Schwierigkeit, in Berlin mit einem Mahnmal am historischen Ort und in Deutschland überhaupt des 17.Juni zu gedenken, stellt mehr dar als eine Feiertags-Aufgabe. P.v.B.

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