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Kultur: Feine Linien ziehen ihre Bahn

„Der Alchimist“: Die Berliner Akademie der Künste entdeckt mit einer Ausstellung Heinz Hajek-Halke als großen Experimentator des Fotolabors.

Fotografen skizzieren eher selten. Sie blicken unmittelbar durch ihren Sucher und komponieren meist dann auch schon in dem Moment ihr Bild. Heinz Hajek-Halke hat dennoch Skizzen angefertigt. Zu einer Zeichnung notiert er: „Muss wie ein Kampf aussehen.“ Bei näherer Betrachtung ähneln die verschlungenen Formen auf der Skizze einem sich umarmenden Paar. Der Fotograf Hajek-Halke, geboren 1898 in Berlin, war kein Beobachter, der seine Motive auf der Straße fand. Er suchte sie in seiner Dunkelkammer und experimentierte mit chemischen und physikalischen Prozessen bei der Belichtung. Er verwendete Wunderkerzen, Draht und Rasierklingen. Oder er tropfte Kupfersulfat auf den Bildträger, gemischt mit Kobaltchlorid auf einer Gelatinelösung. „Der Alchimist“ heißt deshalb die Ausstellung in der Akademie der Künste, die Heinz Hajek-Halke und sein wundersames Spätwerk ehrt. Dank einer Schenkung ist die Akademie im Besitz von über 200 Lichtgrafiken, die sie erstmals umfassend am Pariser Platz präsentiert.

Hajek-Halkes magische Bilder wirken wie das Abbild eines Innenlebens. Viele der nebligen, sich überlappenden hellen Flächen und Formen sehen so aus, als seien sie mit Röntgenstrahlen für die Ewigkeit gebannt. Das Weiß in Hajek-Halkes Schwarz-Weiß-Bildern ist nicht weiß, es leuchtet. Krustige Oberflächen brechen auf, feine Linien ziehen ihre Bahnen. Manches sieht organisch aus, wie durch ein Mikroskop betrachtet, anderes wie in viele Facetten aufgespaltete Kreiselformen der russischen Avantgarde. Nie sind diese chemischen und physikalischen Experimente nur Effekthascherei. Das Werk ist komponiert bis in die letzte der plastisch wirkenden Mehrfachbelichtungen. Hajek-Halke hat vielen seiner Arbeiten sprechende Namen gegeben: „Der Alpdruck“, „Der barmherzige Urwald“, „In stolzer Trauer“.

Mit seiner Lichtgrafik „Bemooster Akt“, der marmorierten Silhouette einer Frau von 1956, knüpft Hajek-Halke an seinen „Schwarz-Weißen Akt“ von 1930 an. Darauf sind zwei weibliche Körper wie Yin und Yang aneinandergeschmiegt. Schon vor dem Krieg hatte Hajek-Halke mit Montage und Doppelbelichtung gespielt. Er war ein bekannter Plakatkünstler und arbeitet unter anderem mit der gefragten Berliner Modefotografin Yva zusammen. Doch zu seiner ganz eigenen Bildsprache, dem rätselhaften Kosmos aus Gespinsten und Schatten, fand er erst nach 1949.

Zu dieser Zeit entwickelt sich in Westdeutschland die sogenannte „subjektive Fotografie“ als eigene Bewegung, vorangetrieben von einer kleinen Gruppe von Künstlern. Neben Otto Steiner, Peter Keetman, Toni Schneiders oder Siegfried Lauterwasser gehörte auch Hajek-Halke dazu. Mit ihren extremen Ausschnitten, abstrakten Strukturen und surreal wirkenden Motiven knüpften sie an die Experimente der Vorkriegszeit an.

Gerade weil Hajek-Halke sich so akribisch mit dem Medium Fotografie auseinandersetzte wie kaum einer vor ihm, verschwimmen bei ihm die Grenzen zu Grafik und Bildhauerei. Umso erstaunlicher, dass der Künstler heute, knapp dreißig Jahre nach seinem Tod, in Vergessenheit geraten war. Das sollte sich nun ändern. Anna Pataczek

Akademie der Künste, Pariser Platz 4, bis 4. 11.; Di-So 11-19 Uhr. Katalog 38 €.

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