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Surreal. Das 1933 entstandene Aquarell einer Felsmalerei aus Ägypten (Gilf Kebir, Wadi Sura, 4400 – 3500 v. Chr.).

© Frobenius-Institut Frankfurt am Main

"Felsbilder" im Martin-Gropius-Bau: So sah vor 20.000 Jahren die Moderne aus

Die Rückkehr der Höhlenmalerei: Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt „Felsbilder der Sammlung Frobenius“ und erinnert an eine vergessene Quelle der Moderne.

Eine Weltgeschichte der anderen Art erzählt das Gemälde. Tiere, Menschen, ganze Kontinente sind dargestellt, in blauen, braunen Schattierungen. Die Hauptakteure des Geschehens – kleine längliche Figuren  mit Pfeil und Bogen, meist in Reih und Glied, und bullige Antilopen – sind in ochsenblutroten Tönen gehalten.

Der Betrachter lässt den Blick über das zehn Meter breite Bild streifen und versucht, das 20.000 Jahre zurückliegende Geschehen einzuordnen: Sind es Beutezüge, Rituale, Schlachten? War das Dargestellte Teil eines Kults?

Doch darum geht es in der Ausstellung „Kunst der Vorzeit, Felsbilder aus der Sammlung Frobenius“ im Berliner Martin-Gropius-Bau nicht. Erstmals nach über 50 Jahren ist  die Bilderausbeute von den abenteuerlichen Expeditionen des Frankfurter Gelehrten Leo Frobenius wieder zu sehen. Er mag zwar nicht der Entdecker der Höhlenmalerei in Afrika, Australien, Neuguinea gewesen sein, aber er holte sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „Faksimile“ nach Europa, eine Sensation.

Die in seinem Auftrag angefertigten über 5000 Kopien auch von Darstellungen in spanischen, französischen, skandinavischen Höhlen machten die Malerei der Bronzezeit schlagartig populär. Der Vorzeitmensch wurde nicht länger als brutal und dumpf angesehen, sondern als Künstler und Ästhet. Afrika, bislang ein vermeintlich geschichtsloser Kontinent, galt fortan als Wiege der Zivilisation. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden die Bilder in den Archiven des nach ihrem Gründer benannten Frobenius-Instituts in Frankfurt. Die Technik zur Dokumentation der Höhlenmalerei und urzeitlichen Felsritzungen war längst fortgeschritten, die weitaus präzisere Fotografie hatte sich auch auf diesem Terrain durchgesetzt.

Antilopen, Büffel und Menschen, eine Felszeichnung aus Südafrika 8.000-2.000 v.Chr. Aquarell von Maria Weyersberg.
Antilopen, Büffel und Menschen, eine Felszeichnung aus Südafrika 8.000-2.000 v.Chr. Aquarell von Maria Weyersberg.

© Frobenius-Institut Frankfurt am Main

Offenbar brauchte es diese Zeit des Schlummers, um die bei fast zwei Dutzend Forschungsreisen entstandenen Bilder als eigene Werke anzusehen und nicht nur als Zeugnisse einer altertümlichen Erfassungsmethode. Damit rückt auch Leo Frobenius wieder in den Blick, der seinerzeit eine Berühmtheit war: Sogar Zigarren wurden nach ihm benannt. Wilhelm II. ließ sich von den Expeditionen erzählen, gab großzügig Geld für die nächsten Reisen. In der Weimarer Republik unterstützte ihn seine Heimatstadt Frankfurt, die ihm sein Afrika-Archiv für 260.000 Reichsmark abkaufte, schließlich förderten ihn die Nationalsozialisten – so betrieb Frobenius seine Forschungsprojekte, unbenommen der politischen Systeme. Er nahm von allen.

Nach den archaischen Motiven muss den Autodidakten eine regelrechte Sucht befallen haben, und mit ihm eine Schar Künstler, die für ihn die Felsbilder abmalte. Frobenius, der deutsche Lawrence von Arabien, konnte sogar die Automobilindustrie für seine Sache gewinnen; die Ford-Werke spendeten ihm zehn rot lackierte Kraftfahrzeuge, mit denen er die Sahara durchkreuzte.

Noch eine Zeichnung mit Antilopen und langgliedrigen Menschen, entdeckt in der Republik Südafrika, Harrismith, 1.500 v.Chr. - 1.500 n.Chr. Aquarell von Elisabet Mannfeld.
Noch eine Zeichnung mit Antilopen und langgliedrigen Menschen, entdeckt in der Republik Südafrika, Harrismith, 1.500 v.Chr. - 1.500 n.Chr. Aquarell von Elisabet Mannfeld.

© Frobenius-Institut Frankfurt am Main

Neben den prachtvollen Bildern, die spinnenbeinige Menschlein zeigen, Elefanten, Hirsche, Bisons, Zwitterwesen, die vom urzeitlichen Leben und den Kulten in Savannen und Bergen berichten, bilden die Expeditionsfotografien eine eigene reizvolle Abteilung in der Ausstellung. Junge Damen in langen Röcken mit weißen Blusen und kräftigen Schuhen sind darauf zu sehen, die aufmerksam Felswände studieren oder auf auf ihren Knien aquarellieren. War Frobenius ein früher Feminist? Keineswegs, er nahm Künstlerinnen bevorzugt in sein Team, weil sie als Töchter betuchter Frankfurter Familien ihre Reisekosten selbst übernahmen. Und er musste ihre Arbeit nicht bezahlen.

Klee, Arp, Kirchner - sie ließen sich von den Felsbildern inspirieren

Auf einer anderen Fotografie legt die illustre Reisegesellschaft im namibischen Walfis Bay einen Zwischenstopp ein. Für eine gepflegte Tasse Tee auf Korbstühlen hat man sich vor dem „Café Royal“ niedergelassen, so der Name der Wellblechhütte. Statt des Tropenhelms trägt der Expeditionsleiter Frobenius diesmal schwarze Knickerbocker und Jackett. Der Mann mit dem markanten Ziegenbärtchen hatte Stil, er war ein Star der Forschungswelt, schrieb Bücher über die Geschichte Afrikas. International bekannt machten ihn aber die auf Reisen geschickten Felsbilder, die Ausstellungen im Berliner Reichstag, in Mannheim, Oslo und Brüssel. Vor allem Künstler zeigten sich von den Werken fasziniert, entdeckten sie doch darin jene Ursprünglichkeit, wie sie auch aus den Werken afrikanischer Skulpteure oder psychisch Erkrankter sprach. André Masson, Hans Arp, Paul Klee, die Surrealisten, sie alle ließen sich von den prähistorisch modernen Felsbildern inspirieren . In Alfred Kirchners Besitz befanden sich zwei Bildbände von Frobenius.

Hier hat die eindrucksvolle Ausstellung im Gropius-Bau ihre Schwäche. Der Bezug zur Moderne bleibt Behauptung, ein geschickter Werbecoup, die konkreten Belege fehlen. Der Besucher hofft bis zuletzt, zumindest als Finale eine Gegenüberstellung geboten zu bekommen, wie sie 1937 Alfred Barr, der Gründer des Museums of Modern Art, damals noch als kühnen Vorstoß wagte und damit womöglich die amerikanische Malerei revolutionierte. Jackson Pollock könnte von der spektakulären Schau tatsächlich zu seinen Großformaten und dem All-over animiert worden sein. Darüber wüsste man gern mehr.

„Die ersten Surrealisten waren Höhlenmenschen“, titelte damals eine Zeitung. Schade, diese Rezeptionsgeschichte wird nicht verfolgt. Zu kurz kommt auch die bittere Pointe, dass zeitgleich in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ stattfand, in der eben jene Moderne diffamiert wurde. Für Frobenius, den Pragmatiker und Nazi- Freund, ließ sich auch das vereinbaren. Ein Jahr später starb er überraschend, 1939 wurde sein Institut geschlossen, das sich ohnehin nicht auf einer Linie mit dem NS–Rassismus befand.

Nach dem Krieg tauchen da und dort die Bilder wieder auf, letzte Ausstellungen in London und Paris, dann wird es endgültig still um sie. Ihre Wiederentdeckung ist eine kleine Sensation. Restauriert und rahmenlos gehängt, wirken sie zeitlos schön, wie von jüngster Meisterhand gemalt. Aus heutiger Sicht könnte das ein oder andere Stück ebenso von Beuys oder Basquiat stammen, die gleichen Hockenden, die gleichen skripturalen Zeichen. Ebenso müssen Baumeister und Miró Anleihen gemacht haben.

Was also sind die Bilder: Kunst oder Kopien? Beides? Die Frage bleibt wohlweislich unbeantwortet. Die Maler und Malerinnen sind zwar namentlich bekannt, jedoch verliert sich ihre Spur. Aber ihre Felsbilder brachten die Avantgarde voran, sie sind Teil der jüngsten Kunstgeschichte. Ohne ihre Gegenstücke der europäischen Moderne wird ihre eigentliche Bedeutung jedoch nicht sichtbar.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 16.5., Mi–Mo 10–19 Uhr, Katalog (Prestel) 25 €

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