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Kultur: Fenster ohne Ausblick

Ein Quadrat mit vertikalen und horizontalen Linien darin kann wahlweise als Fenster und Ausblick gedeutet werden oder als Käfig und Gitter. Betritt man dieser Tage die Galerie Fahnemann, so kann man sich entweder beschränkt fühlen oder zum Ausblick ermutigt.

Ein Quadrat mit vertikalen und horizontalen Linien darin kann wahlweise als Fenster und Ausblick gedeutet werden oder als Käfig und Gitter. Betritt man dieser Tage die Galerie Fahnemann, so kann man sich entweder beschränkt fühlen oder zum Ausblick ermutigt. Ganz nach Belieben. Dabei geht die Geschichte um, dass Günther Förg seine Raster-Bilder weder aus einem beklemmenden noch aus einem befreienden Kontext ersann: Das Motiv oder eher die Malweise des Rasters sei ihm in einem Bild von Edvard Munch begegnet, wo eine Bettdecke mit horizontalen und vertikalen Streifen verziert gewesen sei.

Mit einfachsten Verfahren die Anlage des Tafelbildes herausfordern: Das ist das Prinzip der Bilder von Förg, die man in Berlin zuletzt im Deutschen Guggenheim sehen konnte. Hier bevölkerte der Maler, Fotograf und Bildhauer alle Wände mit Fenstern ohne Ausblick und mit Gittern zum Rausschauen. Bei Fahnemann hingegen ist es nur eine Handvoll neuer Netzstrukturen, die Förg präsentiert. Während Raster und Format immer gleich bleiben, changieren die Farben: schwarz auf grau, rot auf schwarz, schwarz auf weiß. Auch der Zustand der Gitter variiert: Manche haben eine strenge Rasterung, andere wirken eher aufgelockert, wieder andere zeigen eine völlig versprengte Struktur. Und auf einem Bild sieht man den Grund vor lauter Gittern nicht (je 75 000 Mark).

Natürlich ist jeder Zustand dieser Raster als Kommentar zur abstrakten Malerei zu lesen. Es ist ja gerade der Trick dieser Bilder, dass ihr simples Prinzip die kompliziertesten Erklärungen zulässt. Ihre Einfachheit ist ihre Zier. Schließlich ist die schlichte Unterteilung in einen monochromen Bildgrund und ein feststehendes Gitter darüber - also in Material und Struktur - ein Grundmuster abendländischen Denkens, das sich die längste Zeit als Abstraktion einer sinnlichen Masse definierte.

Dass Förgs Malerei auch einfacher beizukommen ist, zeigt eine zweite Ausstellung von ebenso fangfrischen Bildern und älteren Skulpturen. Gezeigt werden sie im geräumigen Ausstellungsraum, den Max Hetzler jüngst im S-Bahn-Bogen 48 an der Jannowitzbrücke eröffnet hat. Bereits das Ambiente wirkt gegenüber dem noblen White Cube von Fahnemann eher defavorabel für eine Ausstellung abstrakter Malerei - es gibt hier einfach zu viel Wirklichkeit in Form einer Tankstelle, eines Getränkemarktes und des Heizkraftwerkes in der Nachbarschaft, um sich auf ein abstraktes Bild zu besinnen. Aber es gibt auch die Spree, die direkt unter den Fenstern der Ausstellungsräume entlangzieht. Und vor diesen Fenstern steht die riesenhafte Wand, mit der jeder Künstler, der hier ausstellt, fertig werden muss.

Auf die Vorderseite der Wand, die der Spree abgewandt ist, hat Förg ein drei mal fünf Meter großes abstraktes Bild gehängt. Schon durch seine monumentale Dimension zitiert es die Landschaftsmalerei. Diesmal begnügt sich Förg mit einer horizontalen Unterteilung: Sie teilt den schwarzen unteren Bildstreifen von einem schlammgrauen oberen. Ein Moment der Unterscheidung - der sich in den im Raum verteilten Sockeln wiederfindet, auf denen durchweg bewusst scheußliche Skulpturen stehen oder, einfacher, in der dreckigen Erde, die sich in Berlin meistens nicht vom weniger dreckigen Himmel abhebt.

Im Unterschied zu den Bildern bei Fahnemann wirkt die Einfachheit an der Jannowitzbrücke nicht als Zier der Abstraktion, sondern als Ornament des Realismus. Der schwarze Boden und der dreckige Himmel wirken - wie bei Caspar David Friedrichs Mönch am Meer - als einfache Chiffren für die Darstellung einer Welt aus Schlammlöchern und Schornsteinen. Es braucht schon drei mal fünf Meter, um dieser Welt zu trotzen. Fast gerät Förgs Monumentalgemälde aus Erde und Himmel zum ersten Andachtsbild des neuen Kunstquartiers Jannowitzbrücke (160 000 Mark).

Und richtig, geht man um die monumentale Wand herum, befinden sich drei kleinere Versionen des großen Bildes an die Rückwand gelehnt (je 86 000 Mark). Die düsteren Böden mit den raumgreifenden Himmeln stehen genau gegenüber den Fenstern, unter denen die Spree fließt, deren Wasser so schwarz ist wie die schwarze Farbe. Auch hier darf man sich entscheiden, ob die Schwärze Ausblick sein soll oder Grenze.

Knut Ebeling

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