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Ferruccio Furlanetto: Blühender Flieder, tanzender Tod

Ferruccio Furlanetto singt russische Lieder von Rachmaninow und Mussorgsky im Kammermusiksaal

Deutschland ist Liederland. Aber Reichtum kann den Blick auch trüben. Wer Schubert, Schumann und Brahms hat, schaut nicht unbedingt nach Russland. Dass auch dort ein riesiges Repertoire an Kunstliedern entstanden ist, weiß hierzulande kaum jemand. Ausgerechnet ein Italiener gibt Nachhilfeunterricht. Ferruccio Furlanetto begnügt sich auch im Abendschimmer seiner Karriere nicht mit den bewährten Bassbariton-Rollen wie Boris Godunow oder Philipp II., sondern wagt Neues – mit Liedern von Rachmaninow und Mussorgsky, die er jetzt im Kammermusiksaal vorträgt.

Welch unwahrscheinlicher, unglaublicher Glanz, welche stimmliche Urgewalt stehen dem 64-Jährigen immer noch zur Verfügung! Mal ersetzt die Stimme einen ganzen Chor, mal wispert sie nur subtil und leise in den Raum, mal leuchte sie rötlich auf, bevor sie sich in nachtschwarze Abgründe stürzt. Furlanetto spielt virtuos auf der vokalen Farbpalette. Und schlüpft dabei quasi mitten hinein in die dramatische Situation der Lieder, die Rachmaninow auf Texte von Puschkin, Goethe oder Heine geschrieben hat. Sie besingen die Natur, den Fluss, den Flieder und – in Russland immer wieder ein elementares Ereignis – den Sieg des Frühlings. Aus einem schlichten „Ich rufe Deinen Namen in die Dunkelheit“ macht Furlanetto ein existenzielles Drama. Dass Igor Tchetuev am Klavier die Stimmung herunterkühlt, zwar perlend, dabei aber analytisch spielt, das passt: Es grundiert, kontrastiert, befördert Furlanettos emotionalen Parforceritt.

Dann Mussorgsky: Fünf Lieder, in denen ebenfalls das Mondlicht glänzt und die Winde stürmen. Schwarze Romantik, aber nicht so finster wie der finale Zyklus des Abends, „Lieder und Tänze des Todes“, die Mussorgsky nach Art eines mittelalterlichen Todestanzes gestaltet hat. Makabre, erschütternde Musik, unerträglich für jeden, der noch Leben in seinen Adern pulsieren fühlt. Vier Lieder, viermal der Auftritt des Todes, der sich als gütiger, väterlicher Geselle geriert, während er der Mutter das kranke Kind aus den Armen nimmt oder als Feldherr auf den Gebeinen des Schlachtfelds stolziert. Immer wieder muss sich Furlanetto räuspern und krümmen: Mühen, die seinen Auftritt nur noch wahrhaftiger machen. Eine perverse Attraktion geht von Mussorgskys Liedern aus. Schrecken und Schönheit liegen so dicht beieinander.

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