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Kultur: Festival, die zweite

Christiane Peitz berechnet den männlichen Glamourfaktor Gestern war an dieser Stelle vom Balanceakt zwischen Kino und Leben die Rede. Ein schier unerschöpfliches Thema: Ersten Hochrechnungen zufolge soll der legendäre Glamourfaktor in diesem Jahr nämlich höher sein als sonst, nach dem Motto: Kaum ist Gere weg, kommt Clooney.

Christiane Peitz berechnet den

männlichen Glamourfaktor

Gestern war an dieser Stelle vom Balanceakt zwischen Kino und Leben die Rede. Ein schier unerschöpfliches Thema: Ersten Hochrechnungen zufolge soll der legendäre Glamourfaktor in diesem Jahr nämlich höher sein als sonst, nach dem Motto: Kaum ist Gere weg, kommt Clooney. Und das ausgerechnet – „towards tolerance“ – im Schatten des Krieges.

Nun macht der schöne Richard G. die Sache leider ziemlich kompliziert, denn er stellt das Verhältnis von Schicksein und Schicksal, Image und Ich kurzerhand auf den Kopf. Man glaubt es kaum: Im wirklichen Leben ist er mittlerweile weitaus ansehnlicher als im Film. Wenn er Renée und Catherine Z. zum Schlussapplaus von „Chicago“ mit formvollendetem Charme auf die Bühne geleitet, könnte man die schlechte Figur glatt vergessen, die er kurz zuvor als Tänzer auf der Leinwand machte – zu schweigen von seinem Gesang.

Ja, schweigen wir. Denn wenn unsereins über Männer schreibt, zumal über solche, für die wir schwärmen, reagieren die männlichen Kollegen ziemlich empfindlich. Ach du liebe Eifersucht: Ein Star pro Glosse genügt, und der nächste Arbeitstag gleicht einem Spießrutenlauf. Selbst die Erwähnung des komischen Potenzials von Dieter Kosslick, respektive Anke Engelkes Kunst, den Festivalchef mit den eigenen Waffen und Bemerkungen wie „Mensch, Dieter, you are funny“ zu schlagen, birgt ein gewisses Neidrisiko. Ich weiß, wovon ich rede: Unter den Folgen meiner JeffBridges-Kolumne vom vergangenen Herbst leide ich heute noch. Also, kein Wort mehr über Richard Gere.

Aber ein klitzekleines über meinen diesjährigen Lieblingsstar John C. Reilly sei noch erlaubt. Reilly, das ist der mit dem Knautschgesicht. Verschreckter Blick, schiefe Fliege, kurzer Hals – alles an ihm signalisiert Schüchternheit. Von wegen: Beim Eröffnungsempfang gesellt er sich kurzerhand nicht zu den VIPs, sondern zum Fußvolk in der Kellergruft des Berlinale-Palasts. Plaudert fröhlich mit Menschen wie du und ich. Erklärt, dass die amerikanische Protestbewegung gegen die Kriegsabsichten von Präsident Bush täglich wächst. Und bedauert es, dass die amerikanischen Medien und die europäische Öffentlichkeit diesen Protest viel zu wenig zur Kenntnis nehmen.

In „Chicago“ spielt Reilly den Cellophan-Mann, der für alle nur Luft ist. Womit wir wieder beim vertrackten Verhältnis zwischen Kino und Leben wären: Am Ende verstärkt ausgerechnet der Glamourfaktor die politischen Untertöne des Festivals.

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