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Die Meerjungfrauen-Schwestern Michalina Olszanska (links) und Marta Mazurek (rechts) in "Sirenengesang".

© filmpolska

Festival FilmPolska: Meerjungfrauen und Mülldeponien

Zwischen Skurrilität und Ernsthaftigkeit: Das Festival FilmPolska zeigt eine Woche lang starkes Kino aus dem Nachbarland.

Das polnische Filmwunder geht weiter. Auf den Oscar und den Europäischen Filmpreis für Paweł Pawlikowskis „Ida“ folgten zwei Silberne Bären bei der letzten und der diesjährigen Berlinale. Einer ging an Małgorzata Szumowskas „Body“ und einer an Tomasz Wasilewskis „United States of Love“. Wie stark das aktuelle Kino in unserem Nachbarland ist, zeigt das am Mittwoch startende Festival FilmPolska unter dem Motto „Berlin sieht polnisch“. Es ist das größte polnische Filmfestival außerhalb des Landes.

Zwei Festival-Highlights demonstrieren eindrucksvoll Verve und Inspiration des neuen polnischen Kinos. Da ist beispielsweise die schrille New-Wave-Burlesque „Sirenengesang“ („Córki dancinglu“) von Agnieszka Smoczynska, die auf dem Festival Deutschlandpremiere feiert. Sie ist von einer anarchistischen Skurrilität geprägt, die ihresgleichen sucht: Zwei Meerjungfrauen verirren sich in einen Warschauer Nachtclub. In dem Setting irgendwo zwischen avantgardistischer Trash-Art, erotischem Horror und verkaterter Tristesse werden die beiden Protagonistinnen zu tragischen Figuren. Gefangene einer brutal komischen Welt.

Urszula Antoniaks „Nude Area“ („Strefa nagości“) von 2014 ist ungleich langsamer und ernsthafter. Das filmische Gedicht über eine Verliebtheit, die vielleicht auch eine Obsession ist, kommt gänzlich ohne gesprochene Worte aus. Die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt, während sich die Protagonistinnen Naomi und Fama erst in den dunstigen Räumen eines niederländischen Hamams begegnen und dann überall, jederzeit. Der Film verlässt sich vollkommen auf die Macht seiner betörenden Bilder – und schöpft daraus eine Sprache, die das Begehren und die grausamen (Gedanken-)Spiele der Liebe erkundet. Er besticht durch seine Beiläufigkeit und spielt vieles nur an.

Tomasz Wasilewski stellt in „United States of Love“ („Zjednoczone stany miłośi“), mit dem er den Drehbuch-Bären gewann, ebenfalls Frauen ins Zentrum. Er erkundet in seinem 1990 in der polnischen Provinz spielenden Schwarz- Weiß-Drama, wie eine Russischlehrerin, eine Hausfrau, eine Schulleiterin, und eine Tanzpädagogin die Umbruchszeit nach dem Zusammenbruch des Kommunismus erleben.

Die polnische Filmindustrie ist erstaunlich progressiv!

In der Dokumentarfilm-Sektion des Festivals, das unter anderem im Babylon Mitte, dem Zeughauskino, dem Bundesplatz-Kino und dem fsk Kino läuft, wird Hanna Polaks phänomenale und preisgekrönte Arbeit „Something Better to Come“ präsentiert. Die Regisseurin, die bereits mit ihrem vorherigen Film „The Children of Leningradsky“ (2005) für den Oscar nominiert gewesen ist, hat ein Mädchen, das auf einer Mülldeponie in der Nähe von Moskau lebte, 14 Jahre lang begleitet. Der Film dokumentiert, in welche grausamen Umstände Menschen gezwungen werden. Er ist aber vor allem ein intimes Porträt von Yula und den anderen „Outlaws“, die sich trotz allem ihre Menschlichkeit bewahrt haben. Zudem wird Smawomir Grünbergs „Karski und die Herrscher der Menschheit“ („Karski i władcy ludzkości“) zum ersten Mal in Deutschland gezeigt. Karski (eigentlich Kozielewski) war einer der wichtigsten Zeugen der nationalsozialistischen Verbrechen in Polen, dessen Berichte über das Warschauer Ghetto und das Vernichtungslager Belzec seinerzeit als Übertreibungen abgetan wurden.

Ehrengast bei der elften Ausgabe des Festivals ist der 77-jährige Regisseur und Schauspieler Jerzy Skolimowski. Die Retrospektive seines Werks umfasst Meilensteine wie den 1967 zunächst zensierten Film „Hände Hoch!“ („Ręce do góry“) oder „Deep End“ („Na samym dnie“) von 1970, genauso jüngere Produktionen wie „Vier Nächte mit Anna“ („Cztery noce z Anną“) (2008) oder den Politthriller „Essential Killing“ von 2010.

Insgesamt erweist sich die polnische Filmindustrie als erstaunlich progressiv. Das zeigt sich nicht nur an Themen und Macharten der Filme, sondern nicht zuletzt am hohen Anteil filmschaffender Frauen. So sind in der Reihe zur „Polnischen Kamerakunst“ mit Karina Kleszczewska und Jolanta Dylewska zwei Größen eingeladen, die dem allgemeinen Trend – nur 12 Prozent der europäischen „Kameramänner“ sind weiblich – entgegenstehen. Auch das Special zum Animationsfilm – ebenfalls eine klassische Männerdomäne – wurde kuratiert von Iza Plucinska. Sie gewann 2005 den Silbernen Kurzfilm-Bären für ihre Animation „Jam Session“. Wahrscheinlich sollte man nicht zu viel Aufhebens darum machen. Werke wie die von Urszula Antoniak oder Hanna Polak sind einfach herausragendes Gegenwartskino.

FilmPolska: 20. bis 27. April. Infos: www.filmpolska.de

Carolin Haentjes

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