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Apartheid-Stück „Ubu and the Truth Commission“.

© Luke Younge/Festspiele

Festival "Foreign Affairs": Von Katzen und Galgenbäumen

„Ubu“ mit Puppen und Schuberts „Winterreise“: zwei Klassiker von William Kentridge beim Festival „Foreign Affairs“.

So zart, so tapfer. Die Menschenpuppen mit ihren Holzköpfen brauchen zwei Spieler der Handspring Puppet Company – und sei es nur, um im Kochtopf zu rühren und den Löffel behutsam zum Mund zu führen. Später leihen die Spieler ihnen auch ihre Stimme. Die Zeugenaussagen vor der Wahrheitskommission nach dem Ende des Apartheidregimes in Südafrika, die Berichte von Menschen, die lebendig verbrannt, verstümmelt, gemetzelt wurden, sie erschüttern einen bis heute. Der Täter, ein Brutalo in Stiefeln und Unterwäsche (Dawid Minnaar), aktiviert derweil seine Höllenpuppenhunde und ein eifrig Beweismittel verschlingendes Reisetaschen- Krokodil, um am Ende unbehelligt davonzuschippern. Der Tisch im Gerichtssaal wird zum Segelboot – und ab geht’s Richtung Sargassosee.

Bald 20 Jahre ist es her, dass „Ubu and the Truth Commission“, William Kentridges und Jane Taylors Multimediastück mit der Handspring Puppet Company aus Kapstadt, im Hebbel am Ufer gastierte. Hat das halb auf den Zeugenaussagen, halb auf Alfred Jarrys damals hundert Jahre altem Bühnentext „Ubu Roi“ basierende polyglotte Stück (mit Theater, Tanz, Puppen, Musik, Englisch, Afrikaans, Xhosa) sich seine Wucht von damals bewahrt?

Der Gewaltexzess, die Todesangst, Südafrika als dröhnender Hexenkessel, als obszöner Tanz eines Weißen – es hat sich nicht erledigt bei diesem Wiedersehen im Haus der Berliner Festspiele. Auch nicht das sarkastisch-fröhliche Pfeifen des ungeschoren davonkommenden Ubu oder die perfide Mimikry der Täter, die in Kentridges Schwarz-Weiß-Animationen ihren Niederschlag findet, in seiner Kunst der permanenten Metamorphose. Eine Katze wird zur Kamera wird zum Radio-Stativ wird zur Mordwaffe – und schon schnurrt sie wieder.

Und doch ist etwas in die Jahre gekommen, Multimedia ist keine Sensation mehr heute in der Ära der Smartphones. Da passt es gut, dass Kentridge für die kurzfristig ausgefallene Darstellerin von Mama Ubu – Busi Zokufa hatte sich bei der Probe verletzt – die Texte einspricht. Er steht am Bühnenrand, markiert ihre Tanzschritte, ihre Wut auf den bösen Mann. Der Künstler als Amateur, eine Skizze, eine Reminiszenz. Aber auch die Vergegenwärtigung eines mörderischen Unrechts, das noch lange nicht vergangen ist. Nicht nur in Südafrika. (Christiane Peitz)

Kentridges Erinnerungsmusik

Szene aus Kentridges "Winterreise", hier eine Aufnahme vom Festival in Aix en Provence
Szene aus Kentridges "Winterreise", hier eine Aufnahme vom Festival in Aix en Provence

© Patrick Berger/artcomart/Festspiele

Wer anschließend mit Kentridge auf „Winterreise“ geht, verlässt den vertrauten Kulturraum, in dem der Dichter Wilhelm Müller und der Komponist Franz Schubert ihr gekränktes Ich auf eine Wanderung ohne Wiederkehr schicken. Ohne den Sinn der Worte ganz erfassen zu können, hörte Kentridge den Liederzyklus als Kind in Johannesburg. Fischer-Dieskau. Musik des Vaters in einem jüdischen Haushalt, der alles mied, was an Deutschland oder Österreich gemahnte. Dennoch wird die „Winterreise“ zur Erinnerungsmusik für Kentridge. Später entdeckt er, dass sich seine Animationsfilme über Schuberts Lieder legen lassen. Als ob sie immer schon ein geheimes Schnittmuster seiner Arbeit waren. Ein Bühnenabend für Sänger, Pianist und Projektionen wird zusammengebastelt, 2014 erlebt er seine Uraufführung.

In der Ursprungsbesetzung mit dem Bariton Matthias Goerne und Markus Hinterhäuserer am Klavier kommt die „Winterreise“ nun nach Berlin. Umgeben vom Universum des Künstlers, das sich im Haus der Berliner Festspiele von der Unterbühne bis in den Rang erstreckt, lassen sich die projizierten Zeichen spielend wiedererkennen. Kentridge, als Wanderer durch die Geschichte Südafrikas, als sein eigener zweifelnd-ironischer Doppelgänger, sich selbst übermalender Zeichner und tanzfreudiger Filmmonteur. Das ist der Hintergrund, den Sänger Goerne nur selten sieht und mit dem er für eine einzige kurze Duschszene verschmilzt. Sonst bleibt alles fein getrennt, der Bariton in der schützenden Bucht des Flügels, der Pianist schwitzend im Halbschatten, die Bilder perfekt abgespielt.

Endlos durch die Nacht

Oder regt sich da doch etwas? Ist Goernes aufflammende Leidenschaft der Tatsache geschuldet, dass hinter seinem Rücken die Bilder munter purzeln, er sich gegen Tintenlachen, Bombentrichter und Galgenbaum behaupten muss? Dem Bariton gelingt mit leicht schleifendem Atem jedenfalls eine eindringliche Darstellung, die nicht in verzärtelter Liedheiligkeit stecken bleibt, begleitet von zeitgenössischer, keineswegs geleckter Hintersinnigkeit am Flügel.

Doch Kentridges sprudelnde Bildfantasien halten seine „Winterreise“ fest in der Welt der Kunstzeichen. Wirklich aufrüttelnd wäre da nur das Versiegen der Quellen. Davon kann – zum Glück – keine Rede sein. Und so mündet alles in Prozessionen. Sie begleiten den „Leiermann“ und ziehen danach auf den Rangfenstern weiter durch die Nacht: ohne Ende. Na tanz, Franz! (Ulrich Amling)

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